„Smart Home“, „Smart Lighting“: Warum der Durchbruch auf sich warten lässt

Seit vielen Jahren sagen Fachjournalisten, Branchenverbände und Industrie den endgültigen „Durchbruch“ für zahlreiche „Smart Home“- und „Smart Lighting“-Lösungen voraus, die den Alltag leichter, schöner und komfortabler machen sollen. Bis heute ließ sich davon aber nur eine kleine Minderheit der privaten Verbraucher überzeugen. Und das hat einleuchtende Gründe.

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Drahtlose Lichtsteuerung via Smartphone- oder Pad-Touchscreen – das gibt’s beispielsweise seit Oktober 2012 beim Philips-„hue“-System, das schon in Telekom-„Smart Home“ integriert ist und ab Herbst auch mit Apples „HomeKit“-Software kompatibel sein soll. (Foto: W. Messer)

Eigentlich dürfte ich gar nicht „Smart Lighting“ schreiben, weil damit ursprünglich ein durch LED-Leuchtmittel erzeugtes, drahtloses Netzwerk gemeint war. Datentransport via LED-Licht ist tatsächlich schon Realität – etwa in einem „Hypermarché“ des französischen Einzelhandels-Riesen „Carrefour“, wo die Beleuchtung ganz nebenbei Infos an die Smartphones der Kunden sendet. Philips hat dafür ein Licht-basiertes Indoor-Navigationssystem entwickelt, das mit einer von „Think&Go“ in Frankreich programmierten App zusammenarbeitet. Bei fast 8000 Quadratmeter Verkaufsfläche kann man sich sonst wohl mal verirren oder die neuesten Sonderangebote verpassen …

So „smart“ sind die „intelligenten“ LED-Lampen und -Leuchten für zuhause nicht, obwohl sie häufig schon als Teil eines Netzwerks fungieren. Korrekter wären deshalb eher die Begriffe „Connected Lighting“ oder „digitales Licht“. Im Prinzip geht es darum, dass die Leuchtmittel binäre Steuersignale empfangen, verarbeiten und teils auch an die Nachbar-Lampen weiterleiten können („vermaschtes Netz“ wie bei Osram-„Lightify“ oder Philips-„hue“). Wie genau das funktioniert, kann uns egal sein – Hauptsache, die Geräte setzen unsere Lichtwünsche 1:1 in die Realität um.

Ein paar grundlegende Punkte

Wichtig sind dabei vor allem diese Voraussetzungen:

  • Bezahlbarkeit – auch für Durchschnittsverdiener
  • überschaubarer Montage- und Installationsaufwand
  • einfache, intuitive Bedienbarkeit
  • keine nennenswerten Software-Bugs
  • markenübergreifende Kompatibilität
  • flexible Steuerungsmöglichkeiten – sowohl aus der Ferne, als auch zuhause. Zumindest rudimentäre Einstellungen sollten auch ohne Smartphone, Notebad etc. möglich sein – etwa durch Sprachbefehle, „smarte“ Fernbedienungen („hue tap“-Controller) oder die ganz normalen Wandschalter bzw. Dimmer
  • auf Wunsch automatische Anpassung an Umweltbedingungen, Tages-, Jahreszeiten und Biorhythmus (Tageslicht-Sensor, einwandfreie Dimmbarkeit, zirkadiane Farbtemperatur-Steuerung)
  • gute Material- und Lichtqualität – ohne Flimmern und Flackern, elektromagnetische Störungen oder nervende Geräusche
  • lange Lebensdauer
  • hohes Stromsparpotenzial

„Intelligente“ Lichtsysteme, die hier schwächeln, haben langfristig auch keine Chance, Teil einer übergeordneten, erfolgreichen und zukunftstauglichen „Smart Home“-Infrastruktur zu werden. Im Idealfall kann sie alles Mögliche umfassen: Allgemein- und Notbeleuchtung, Rollläden, Heizungen, Klimaanlagen, Türen, Türklingeln, Garagentore, Überwachungskameras, Alarmanlagen, Luftgüte-Messgeräte, Wetter-Sensoren, Herde, Kühlschränke, Waschmaschinen, Trockner, Dunstabzugshauben, TV-Geräte oder Audioanlagen.

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So könnte das in der Praxis funktionieren

Ein denkbares Programm-Szenario wäre also: Sie kommen im Herbst um 18.30 Uhr von der Arbeit nachhause; Ihr Smartphone erkennt das dank „Geofencing“, öffnet die Haustür, schaltet das Treppenhauslicht ein, wartet ein paar Sekunden, lässt dann die Rollläden herunter, aktiviert ein „Feierabend“-Lichtszenario – begleitet von „Smooth Jazz“ aus der Surround-Anlage, heizt den Backofen hoch und erinnert Sie auf dem Display dezent daran, dass sich heute Abend noch ein paar Freunde zum Pizza-Schlemmen angesagt haben. Schöne neue Welt mit dem „Internet der Dinge“?

Zukunftsmusik ist das jedenfalls nicht, sondern in vielen gehobenen Haushalten schon Realität, bei Profi-Anwendern im gewerblichen Bereich noch häufiger. So nutzt der Edeka-Markt „Clausen“ am Hamburger Wiesendamm seit April als weltweit Erster der Branche das neue Beleuchtungskonzept „StoreWise“ von Philips mit Edeka Markt Clausen, Hamburg„intelligenter“ Lichtsteuerung.

Sie regelt die Helligkeit teils automatisch, kann aber auch einfach per Fingerdruck auf einem Display (PR-Foto rechts) Änderungen umsetzen oder programmierte Szenen abrufen, um das Licht beispielsweise an Sonderaktionen oder Events anzupassen.

Edeka Markt Clausen, Hamburg. Theke
Neues, ferngesteuertes Philips-LED-Licht für Fleisch, Wurst und Käse: Die Bedienungstheke im Edeka-Markt „Clausen“ in Hamburg. (Foto: Philips-PR, Jörg Hempel)

Während der Öffnungszeiten ändert sich die Beleuchtungsstärke für jeden Bereich des Marktes individuell, sensorgesteuert und abgestimmt auf das jeweils einfallende Tageslicht. Nach Ladenschluss wird die Allgemeinbeleuchtung automatisch gedimmt, während bestimmte Areale akzentuiert erhellt werden, damit’s auch von außen hübsch aussieht. Die Sinnfrage stellt sich hier sicher nicht, weil Geschäftsleute vor einer so großen Investition meistens mit spitzem Bleistift rechnen, auf baldige Amortisation setzen und die Vor- und Nachteile genau abwägen.

Vorhersagen mit zweifelhaftem Wert

Privathaushalte sind häufig nicht so konsequent bei der Kalkulation, aber dennoch auffallend gering begeistert über „Smart Home“ oder „Smart Lighting“, obwohl damit doch so tolle Spielereien möglich sind. Unverschämterweise konterkarieren wir „Normalverbraucher“ die seit vielen Jahren immer wiederkehrenden Jubel-Prophezeiungen von technikverliebten Fachjournalisten, High-Tech-Unternehmen oder Branchenverbänden wie dem notorisch optimistischen BITKOM:

Diese unterhaltsame Liste mit Beiträgen aus einer mir ziemlich fremden Parallelwelt könnte ich beliebig erweitern – zurück bis in die frühen „World Wide Web“-Zeiten Mitte der 1990er. Wirklich treffsichere Vorhersagen waren jedenfalls nur selten dabei.

Auch Bauherren halten sich noch zurück

Denn die Realität sieht 2015 bei uns immer noch anders aus. So befragte „BauInfoConsult“ Anfang des Jahres ein paar hundert deutsche Bauherren – und nur etwa jeder Dritte gab an, „Smart Home“-Technologie in seinem neuen Haus bereits zu nutzen oder irgendwann einbauen zu wollen. Dabei stehen hier die viel offeneren Einfallstore für neue Haustechnik als in bestehenden Mietwohnungen oder Altbauten, wo nur selten was frisch eingebaut und bei Renovierungen lieber in Wärmedämmung als in Datentransport und -vernetzung investiert wird.

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Etwas empfänglicher sind offenbar die Verbraucher in den USA. Die neueste „Socket Survey“ von Osram-Sylvania berichtet, dass 62% zumindest schon mal was von „Smart Lighting“ gehört und rund 10% bereits eine „Smart Bulb“ gekauft hätten. Das muss jedoch nicht unbedingt heißen, dass es durchweg vernetzungsfähige Lampen waren. Schließlich gibt es zahlreiche proprietäre „Insel“-Systeme, bei denen Sie mit Apps oder speziellen Fernbedienungen nur bestimmte Leuchtmittel eines Herstellers steuern können – wie etwa beim Bluetooth-System „Ingenium BLU“ von Megaman (Foto oben: W. Messer). Eine spätere Anbindung an eine „Smart Home“-Infrastruktur ist damit normalerweise nicht möglich.

Selbst LED-Fans setzen noch auf Traditionelles

Eine nicht repräsentative Mini-Umfrage habe ich vor ein paar Tagen in der Google+-Community „LED-Beleuchtung“ gestartet. Dort tummeln sich über 330 vorwiegend Technik-affine, LED-erfahrene Internet-Nutzer ohne falsche Scheu vor sinnvollen Neuheiten – also die Avantgarde der „Early Adopters“. Was halten sie in Zukunft für wirklich praktikabel und massentauglich – hauptsächlich im privaten Bereich der „Allgemeinbeleuchtung“?

  • Werden es die Komplettsysteme sein, die beispielsweise via DALI fast alle elektrischen/elektronischen Geräte im Haus steuern können?
  • Kabellose ZigBee-„Light Link“-Lösungen für Beleuchtung in Verbindung mit Internet, WLAN und Apps?
  • Drahtlose Insellösungen mit individuellen Fernbedienungen für jedes Leuchtmittel oder jeden Raum (mit Bluetooth, sonstigen Funkstandards oder Infrarot)?
  • Genügen „intelligente“, drahtgebundene Lichtschalter mit Dimm- und Speicherfunktionen – eventuell mit zusätzlicher Sensorsteuerung?
  • Oder bleibt es auch langfristig überwiegend bei der herkömmlichen Technik mit simplen Wandschaltern und -dimmern?

Und so sieht das überraschende Ergebnis aus:

Google+-Abstimmung-Smart-Home

Über 60 Prozent votierten also gegen komplexe, vernetzte Systeme oder Insellösungen  und bevorzugen bereits Bewährtes bzw. modernisierte Varianten davon (dort, wo das Häkchen steht, ist meine Stimme gelandet) – trotz aller Probleme, die’s beispielsweise beim Zusammenspiel von LED-Lampen und Dimmern geben kann. Das liegt sicher auch daran, dass die „Smart Lighting“-Entwicklung in vollem Gang ist und die bisherige LED-Technik noch lange nicht alle Erwartungen und Bedürfnisse der potenziellen Kundschaft erfüllt (wie weiter oben aufgelistet). In nächster Zeit werde ich das beispielhaft mit Philips-„hue“-Leuchtmitteln detailliert testen, messen lassen und hier im Blog darüber berichten.

Wieso sollte man sich für teures Geld ZigBee-Interfaces oder DALI-Steuerungskästen kaufen, wenn anschließend das simple Ein- und Ausschalten einer bestimmten LED-Lampe viel komplizierter wird als vorher? Wer kramt dafür schon gerne jedes Mal sein Smartphone ’raus und kämpft sich durch diverse Apps oder Menüs, bis man das virtuelle Abbild des Leuchtmittels gefunden hat und den korrekten Touch-Befehl eingeben kann? Das findet doch höchstens in kinderlosen und Single-Haushalten statt.

Farbspielereien haben nur begrenzten Reiz

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Und kommen Sie mir jetzt nicht mit irgendwelchen 16-Millionen-Farbnuancen-Spielereien auf bunten iPad-Displays mit RGB- oder RGBW-Lampen und -Leuchten (in meinem Foto oben die mobile „hue Go“ von Philips). Die probieren Sie anfangs ein paar Tage lang freudig aus, verlieren aber schnell die Lust daran, weil knallig rot, blau, grün und gelb beleuchtete Räume eher was für Zappelbuden (Discos), Rock-Konzerte, Schulpartys oder pubertierende Jungs (so zwischen 10 und 60) sind und nichts für normale Wohnungen von erwachsenen Leuten.

Vermeintlich spektakuläre Licht-Vorführungen wird Ihr Freundeskreis – vor allem der weibliche Teil – für ähnlich spannend halten wie früher die endlosen Dia-Abende nach dem Sommerurlaub. Mittelfristig werden Sie sich vermutlich mit einer flexibel und stufenlos steuerbaren Farbtemperatur-Spanne zwischen „warm-weiß“ und „kalt-weiß“ begnügen.

Apple und Google kommen mit Macht

Apple-HomeKit-LogoMöglicherweise erhöht sich die Akzeptanz von integrierten Systemen mit der Evolution von Apples „HomeKit“, das immer mehr Drittanbieter anlockt und in Verbindung mit dem kommenden Betriebssystem iOS 9 und einer „Cloud“ beispielsweise die „Siri“-Sprachsteuerung von Lampen ermöglicht – ohne Zusatzgeräte wie der „Apple TV“-Box. WLAN-Router hat ohnehin schon fast jeder zuhause; iPhones, iPods und iPads sind ebenfalls weit verbreitet.

Nest-LogoParallel drängt Smartphone-Software-Marktführer Google mit „Android“-Apps und der Akquisition des Heizungsregler-Spezialisten „Nest Labs“ in den „Smart Home“-Markt. Auch hier steckt ein großes Potenzial für Marken-übergreifende Steuerungsmöglichkeiten, allerdings auch für das unerwünschte Absaugen und Verarbeiten privater Daten. Schließlich müssen wir damit rechnen, daß alles, was wir über Server in den USA schicken, dort auch von Diensten mit drei Buchstaben verwertet werden kann – dazu gibt es sogar staatliche Geheimverträge mit Google und Co.

Noch reicht aber den meisten privaten Haushalten die überschaubare „Intelligenz“ ihrer bisherigen Leuchtmittel. Immerhin können die uns schon automatisch einen Stromausfall in der Wohnung signalisieren – ganz ohne Apps, Sensoren und Internet.

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