Kabel-Streit bald vor Gericht?

Im Verhandlungs- und Debatten-Feuerwerk um die TV- und Radio-Kabeleinspeiseentgelte ab 2013 zündet „Kabel Deutschland“ die nächste Rakete: Auf der Grundlage eines Gutachtens von Rechtswissenschaftlern will der größte deutsche Kabelnetzbetreiber die öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und ARTE gerichtlich zum Abschluss von neuen Verträgen zwingen lassen, nachdem diese die bisherigen Kontrakte fristgemäß zum Jahresende gekündigt hatten.

Logo KDG

Das Logo des größten deutschen Kabelnetzbetreibers. (PR-Bilder von „Kabel Deutschland“)

Die Professoren Hans-Heinrich Trute und Roland Broemel von der Universität Hamburg sind sich ihrer Sache sicher. Die Juristen erklären laut einem „FAZ“-Bericht“ vom Montag in einem Rechtsgutachten für „Kabel Deutschland“ (KDG), dass ARD und ZDF (sowie ARTE, das steht da zwar nicht, gehört aber ebenfalls dazu) für die Verbreitung ihrer Programme wie bisher Einspeiseentgelte bezahlen müssten (2012 sind das insgesamt 58,5 Millionen Euro). Dazu seien sie unter anderem durch den Rundfunkstaatsvertrag und den dort festgelegten Versorgungsauftrag verpflichtet:

Weil die Einspeisung ins Kabel zur Gewährleistung einer flächendeckenden Verbreitung unverzichtbar ist, sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten verfassungsrechtlich derzeit zur Kabeleinspeisung verpflichtet. Zur effektiven Umsetzung dieser verfassungsrechtlich im Allgemeininteresse stehenden Pflicht trifft öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ein zivilrechtlicher Kontrahierungszwang.

Vertragspflicht für Monopolisten Adrian von Hammerstein

„Kontrahierungszwang“ bedeutet die unbedingte Pflicht zum Abschluss eines Vertrages. So etwas ist im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft nur in Ausnahmefällen üblich – etwa bei gesetzlichen Krankenversicherungen, die keinen Beitrittswilligen ablehnen dürfen, oder in bestimmten Fällen bei Unternehmen mit Monopol- bzw. marktbeherrschender Stellung. Der „Kabel Deutschland“-Vorstandsvorsitzende Adrian von Hammerstein (Bild rechts) glaubt, dass eine solche Ausnahme auch bei der Kabeleinspeisung von öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen vorliegt. Der „FAZ“ erklärte er:

Wir sind davon überzeugt, die richtigen Argumente auf unserer Seite zu haben und sind entschlossen, unsere Position, auch im Interesse unserer Kunden, vor Gericht durchzusetzen.

Zur Erinnerung: Von Hammerstein ist jener Manager, der schon bei der KDG-Bilanzpressekonferenz im Juni prophezeite, dass sich der Streit noch bis zum 30. Dezember dieses Jahres – kurz vor dem Ende der laufenden Verträge – hinziehen könnte. Von den beiden großen Netzbetreibern KDG und „Unitymedia KabelBW“ war bereits angekündigt worden, dass es bei einem Scheitern der Verhandlungen durchaus denkbar sei, die öffentlich-rechtlichen Sender nicht mehr einzuspeisen.

LFK: Kein unbedingter Zwang zur Einspeisung

Zwar stehen dem eigentlich die „must carry“-Regelungen des Rundfunkstaatsvertrags und der 14 Landesmedienanstalten entgegen –  jene haben aber schon signalisiert, dass sie nicht auf dieser Einspeisungspflicht bestehen würden, solange es keine gültigen Verträge zwischen den Sendern und Kabelnetzbetreibern gebe. Der Sprecher der baden-württembergischen Landesanstalt für Kommunikation (LFK), Axel Dürr, schrieb mir am 10. Juli:

Auch die LFK ist generell der Auffassung, dass eine Must Carry-Verpflichtung nicht per se zu einer kostenlosen Einspeisung ins Kabelnetz berechtigt. Im Landesmediengesetz in Baden-Württemberg sind explizit nur die so genannten Nicht Kommerziellen Lokalradios (NKL) von entsprechenden Einspeiseentgelten ausgenommen. Insofern würde von Seiten der LFK keine Aufforderung an den Kabelnetzbetreiber Kabel BW ergehen, ARD und ZDF ohne vertragliche Regelung einzuspeisen.

Nach dem Gutachten der Rechtswissenschaftler Trute und Broemel kommt „Kabel Deutschland“ zu dem Schluss, dass ein „must carry“-Privileg mit der Pflicht verbunden sei, die produzierten Programme auch zu verbreiten. Die kurze Formel dafür: „Must carry = must pay“.

Einspeiseentgelte „inzwischen überholt“

Die Gegenposition der öffentlich-rechtlichen Sender liegt auf der Hand und wurde auch schon mehrfach geäußert: Man biete schließlich den Kabelnetzbetreibern kostenlos die Multiplex- oder Satelliten-Zuführungen mit dem kompletten Programmbouquet an. Für deren Einspeisung in die Netze sei man nicht zuständig, das sei allein Sache der Netzbetreiber. Abgesehen von den Branchenriesen verlange keines der deutschen Kabelunternehmen Einspeiseentgelte. Auch in anderen Ländern der Welt sei das nicht üblich. Die Praxis in Deutschland stamme noch aus den Zeiten der notwendigen Subvention des Kabelnetzausbaus ab den 1980er-Jahren und sei inzwischen überholt.

Konkrete Lösungen für die komplett gegensätzlichen Auffassungen sind bei Weitem noch nicht absehbar. Die „FAZ“ berichtet, dass es bisher nur ein erstes Gespräch zwischen Vertretern von Kabel Deutschland (unter anderem Adrian von Hammerstein), und dem MDR mit Intendantin Karola Wille gegeben habe. Die Leipziger wurden offenbar vom ARD-Verbund mit der Verhandlungsführung in Sachen „Einspeisegebühren“ beauftragt.

Wenn nun „Kabel Deutschland“ – wie angekündigt – den Rechtsweg einschlagen will, um einen Kontrahierungszwang feststellen zu lassen, könnte das einerseits nur ein taktisches Manöver sein. Es könnte andererseits auch den Beginn eines langen juristischen Verfahrens darstellen, das erfahrungsgemäß bis zum 31. Dezember 2012 längst nicht abgeschlossen wäre.

Vorne klagen, hinten kassieren?

Was aber wäre die Konsequenz dieses „worst case“? Könnten es sich die großen Kabelnetzbetreiber tatsächlich leisten, die öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Programme auszuspeisen? Entfiele so nicht die Vertragsgrundlage zwischen Betreibern und den rund 15 Millionen Kabelhaushalten, die dann eventuell ein Sonderkündigungsrecht hätten? Würden die Kunden nicht scharenweise zu anderen Übertragungswegen wechseln (sofern es ihnen möglich ist) oder ebenfalls den Klageweg beschreiten?

Ich würde den Managern von „Kabel Deutschland“ und „Unitymedia Kabel BW“ keine solche Dummheit unterstellen. „Kabel BW“ war immerhin schon so schlau, die monatliche Grundgebühr ab 1. September von 16,95 auf 17,90 Euro anzuheben.  Man wolle – so stand’s in der entsprechenden Mitteilung –  “das Produkt- und Serviceangebot in den kommenden Monaten gerade auch im TV-Bereich deutlich erweitern”. Rein rechnerisch könnte mit den 95 Cent mehr pro Monat und Haushalt aber auch ein Wegfall der Einspeisegebühren aller Sender (auch der privaten) kompensiert werden.

Das wäre doch eine marktwirtschaftlich und psychologisch hübsche Strategie für die Kabelnetzbetreiber: Vorne gegen die zahlungsunwilligen Sender stänkern (die ab 1. Januar 2013 auch von denjenigen per Rundfunkhaushaltsabgabe bezahlt werden müssen, die sie nicht empfangen können), dazu die Damoklesschwerter des „schwarzen Bildschirms“ und/oder eines Gerichtsverfahrens schwingen, aber hinten herum schon mal die eigene Kundschaft zur Kasse bitten.

Weitere Beiträge zum Thema:

Kabel-TV: „Must carry“ muss nicht viel heißen

So droht TV der Tod

Kabel-TV-„Krieg“ zu Lasten der Kunden?

ARTE HD 2012 auch bei Kabel BW?

Wer zahlt für HDTV im Kabel?

Ein Rätsel und seine (höhere) Auflösung

Kabel-TV-Monopoly

2 Gedanken zu „Kabel-Streit bald vor Gericht?

Kommentare sind geschlossen.