Wes Brot ich ess …

Eine Auswahl von „Selbstbezichtigungen“ publizierte die „taz“ heute im „taz-Hausblog“ und auf ihrer Website:

taz-Bekenntnisse

Vier Mitarbeiter erzählen dort von jeweils einem Fall, bei dem die Berichterstattung erst von Dritten durch Finanzierung oder Lieferung von vermeintlichen Hintergrundinformationen ermöglicht wurde. Die veröffentlichten Artikel nach diesen fremdgesteuerten „Recherchen“ ließen deshalb nach Ansicht der Journalisten zumindest die kritische Distanz vermissen oder stellten sich sogar schlicht als falsch heraus.

Dieser Versuch eines offenen Umgangs mit journalistischer Korrumpierbarkeit (deren Beispiele aber schon Jahre zurückliegen) mag ehrenvoll sein, ist aber nur ein Surrogat von Transparenz, allenfalls ein Anfang, wie auch „taz“-Mitarbeiter Sebastian Heiser erklärt:

„Das ist das, was Redakteure, die gestern gerade zufällig in der taz waren, bereit waren, öffentlich und unter Nennung ihres Namens einzugestehen. Ich gehe davon aus, dass es noch sehr, sehr viel mehr zu beichten gäbe!“

Ich gehe noch ein Stück weiter und behaupte mal: Quer über den gesamten Journalismus wäre es erheblich weniger zeitaufwendig, nur über die Fälle zu berichten, bei denen absolut keine Korruption im Spiel war, weil sie nämlich die verschwindend kleine Minderheit darstellen.

Das beginnt in sehr kleinem Rahmen schon im Lokaljournalismus, wo etwa das Fremdenverkehrsamt im Rahmen eines „Pressegesprächs“ seine neue Werbebroschüre vorstellt und die Journalisten auf’s Feinste bewirtet. Schließlich muss man ja demonstrieren, dass der idyllische Urlaubsort den Gästen auch höchste gastronomische Genüsse bescheren kann. Nur zu gerne machen sich hier auch unterbezahlte freie Mitarbeiter der Zeitungen zu billigen Handlangern der Propagandisten. Der Lokalstolz verbietet es dabei häufig auch den Redaktionen, werbliche Formulierungen aus den gelieferten Berichten zu streichen.

Analog funktioniert das auch mit den Ortsverbänden der Parteien, mit Vereinen und der örtlichen Wirtschaft. Kritische Töne sind hier meist nicht opportun, weil ja sie ja zum Verlust von Anzeigenschaltungen oder massenhaften Abbestellungen von Zeitungsabos führen könnten. Objektivität? Vergessen Sie’s – die gibt’s sowieso nur in der Theorie. Im größeren Maßstab setzt sich das in landes- und bundesweiten Medien fort. Auch sie leben schließlich vom Geld der Wirtschaft – repräsentiert von PR-Abteilungen, Lobbyisten und „Pressure Groups“.

Die Redensart „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ dürfte eigentlich auch jedem Leser, Hörer und Zuschauer geläufig sein. Trotzdem soll es noch Menschen geben, die „Testberichte“ von „Fachzeitschriften“ für bare Münze nehmen, falls es der Redaktion mal wieder gelungen ist, den Einfluss von „baren Münzen“ auf das Testergebnis zu verschleiern.

Beispielhaft wäre da etwa der „Motorjournalismus“, dessen Antrieb häufig weniger Otto- und Dieselmotoren als mehr Gier, Gefallsucht und Bequemlichkeit sind. Sieht doch geil aus, wenn man als „Autotester“ am Steuer eines italienischen Boliden irgendwo unter südlicher Sonne im Blatt abgebildet wird. Das Versprechen des Herstellers, die Modellvorstellung im Fünf-Sterne-Hotel in der Toskana mit Wein, Weib und Gesang zu flankieren, wurde auch äußerst befriedigend erfüllt (der Gesang war zwar nicht so doll, aber der Rest … Jungejunge!). Und dann konnte man nicht nur die Blu-ray-Disc mit der Produktpräsentation, sondern auch noch das Abspielgerät dazu mit nach Hause nehmen – klasse!

Die Karre frisst 25 Liter auf 100 km, ruckelt im Stadtverkehr, bleibt in jeder Tiefgarageneinfahrt hängen, kostet im Laden 200.000 Euro und 15.000 Schlappen Vollkasko im Jahr? Scheiß drauf – ich hab‘ meinen Spaß gehabt und der Hersteller schaltet nächsten Monat eine 1/1-Seite in 4C! Dass der Leser dabei hinter’s Licht geführt wird, ist auch egal; er kann sich den „Traumwagen“ ja sowieso nicht leisten. Klappt natürlich nicht nur mit Autos, sondern auch prima mit Ferienclubs, Büchern, Filmen, Benzinsorten, Laptops, Smartphones, Heizungsanlagen, Möbeln und mit allem, bei dem man sonst noch „nützliche Aufwendungen“ (vulgo Korruption) in überteuerte Preise packen und auf die gelackmeierten Kunden abwälzen kann.

Dabei muss nicht immer Geld fließen. Manchmal genügt auch der Wink mit vermeintlich „exklusiven Informationen“, um profilierungssüchtige Journalisten zu ködern. PR-Abteilungen wissen sehr genau, dass Zeitdruck und/oder Bequemlichkeit meist dafür sorgen, dass vor der Veröffentlichung kein längerer Faktencheck oder gar eine Motivrecherche stattfindet. Zu groß ist die Versuchung, als Erster mit einer tollen Geschichte „auf dem Markt“ zu sein, selbst wenn sie sich später als hanebüchen herausstellen sollte (eines der „taz“-Beispiele handelt davon).

Selbst private Blogger werden von Korruptionsversuchen nicht verschont. Jede Woche bekomme ich mindestens eine Anfrage zu einem „Link-Tausch“ oder das Angebot, gegen eine zu verhandelnde Summe ein Produkt oder eine Website zu promoten – am Besten verpackt in einem vermeintlich objektiven Blogbeitrag ohne Kennzeichnung des werblichen Hintergrundes. Auch Gewinnspiele mit begehrenswerten Preisen werden offeriert. Ich kenne diverse Blogs, die das gerne nutzen – und es sind durchaus angesehene Kollegen dabei. Eigentlich eine klassische „Win-Win“-Situation: Das Blog wird durch eine spektakuläre Aktion bekannter und der Werbetreibende erreicht neue Zielgruppen, die er mit traditionellen Medien nicht mehr kriegt.

Ich möchte das auch gar nicht verteufeln, solange im Blog klar ersichtlich ist, dass bei einem Gewinnspiel, einem Artikel oder einem Link Werbung im Spiel ist und wer sie bezahlt. Kann man alles machen, schließlich kostet diese Bloggerei ja auch jede Menge Zeit und Geld. Für mein Blog habe ich aber eine andere Entscheidung getroffen. Wenn Sie bei mir eine Lobhudelei lesen, ist das mein eigener Enthusiasmus, der von keiner Gegenleistung befeuert wurde. Und wenn ich ein fragwürdiges Baumarkt-Angebot zur Sau mache, hat mich dafür kein Konkurrent bezahlt. Objektiv ist das natürlich noch lange nicht, aber wenigstens transparent.

Disclaimer: Ich habe mich in meinem langen Berufsleben in verschiedenen Medien sicher schon häufig „schuldig im Sinne der Anklage“ gemacht, nicht immer absichtlich, aber teils auch vermeidbar.

10 Gedanken zu „Wes Brot ich ess …

  1. Es geht nicht nur um Lobbyismus. Der Politische Einfluss auf die Redaktionen ist mindestens genauso verwerflich, z.B. der politische Einfluss auf die TV-Sender. Die „politische Korruption“ ist weitaus subtiler und verwerflicher als die wirtschaftliche Korruption.

  2. Deshalb erwähnte ich auch die Ortsverbände der Parteien, die bereits im „Kleinen“ Einfluss nehmen. Dass es politische Einflussnahmen auch im „Großen“ gibt, ist daher nur logisch und selbstverständlich auch eine Art „Lobbyismus“.

    Welche Art der Korruption subtiler oder verwerflicher ist, kann ich nicht beurteilen, dürfte aber ziemlich egal sein – was spielen graduelle Unterschiede für eine Rolle, wenn schon das Spiel per se faul ist?

  3. „Der Lokalstolz verbietet es dabei häufig auch den Redaktionen, werbliche Formulierungen aus den gelieferten Berichten zu streichen.“

    Ich las mehrmals: „weibliche Formulierungen“ und wunderte mich…

    Aber so ist ja alles gut. Jedenfalls was dies vermaledeit falsch gelesene Wort betrifft.
    Ansonsten: Man weiß als Leser seit Jahren um die Sache, wenn man lesen und auch denken kann.

  4. Vielleicht etwas drastisch aber …
    John Swinton, ehemaliger Chefredakteur der New York Times, sagte im Jahre 1889:
    “Bis zum heutigen Tag gibt es so etwas wie eine unabhängige Presse in der Weltgeschichte nicht. Sie wissen es und ich weiß es. Es gibt niemanden unter ihnen, der es wagt, seine ehrliche Meinung zu schreiben und wenn er es tut, weiß er im Voraus, dass sie nicht im Druck erscheint. Ich werde jede Woche dafür bezahlt, meine ehrliche Meinung aus der Zeitung herauszuhalten, bei der ich angestellt bin. Andere von Ihnen werden ähnlich bezahlt für ähnliche Dinge und jeder von Ihnen, der so dumm wäre, seine ehrliche Meinung zu schreiben, stünde auf der Straße. Wenn ich meine ehrliche Meinung in einer Ausgabe meiner Zeitung veröffentlichen würde, wäre ich meine Stellung innerhalb von 24 Stunden los. Es ist das Geschäft der Journalisten, die Wahrheit zu zerstören, unumwunden zu lügen, zu pervertieren, zu verleumden, die Füße des Mammon zu lecken und das Land zu verkaufen für ihr tägliches Brot. Wir sind die Werkzeuge und Vasallen der reichen Männer hinter der Szene. Wir sind die Hampelmänner, sie ziehen die Strippen und wir tanzen. Unsere Talente, unsere Fähigkeiten und unser ganzes Leben sind Eigentum anderer Menschen. Wir sind intellektuelle Prostituierte.”

  5. Stimmt, da ists noch etwas pointierter.

    Hinzuzufügen wäre dann vielleicht noch diese, etwas „jüngere“ Aussage eines weiteren Fachmannes:

    In einem Leserbrief im Spiegel vom 5. Mai 1965 schrieb Paul Sethe, einer der fünf Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

    „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten… Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher…

  6. Interessant! Nur das mit dem Motorjournalismus verstehe ich nicht: Welchen Sinn hat es denn für den Hersteller, den Motorjournalisten dermaßen teuer zu bewirten, wenn dessen Leser das auf diese Weise beworbene Produkt niemals kaufen werden, weil sie es sich nicht leisten können? Und wo liegt der Skandal, wenn der hohe Verbrauch und die Ungeeignetheit für den Stadtverkehr nicht im Artikel auftauchen, dafür aber schöne Fotos vom „Boliden“? Beides liegt doch ohnehin auf der Hand.

  7. @Guido: Der beschriebene Fall beleuchtet nur eine Facette des Unwesens. Die Zeitschrift profitiert bei solchen „Edelrenner-Tests“ durch einen Imagegewinn (bei vorwiegend unkritischen Lesern), der Hersteller aber ebenfalls. Schließlich steigern solche Jubelreportagen den „Bling-Bling“- oder Neidwert des Wagens – was wiederum ein kaufauslösender Faktor bei der tatsächlichen Zielgruppe sein kann. Die Ausblendung der harten Realitäten des Alltagsverkehrs gehört bei solchen „Tests“ zwingend dazu (ich habe das auch nicht als „Skandal“ bezeichnet, zumal ich aus eigener, langjähriger Erfahrung weiß, dass solche Geschosse eigentlich nur auf Rennstrecken wirklich ihr Geld wert sind, adäquaten Spaß bereiten und ihr Potenzial zeigen können).

    Meist geht es aber bei diesen gastronomisch hochwertigen Modellvorstellungen nicht um originär italienische Boliden, sondern um die „Leuchtturm“-Produkte von Massenherstellern (auch aus Deutschland), die sich einen positiven Imagetransfer vom teuren Aushängeschild (das auch von einer italienischen Konzerntochter namens „Lamborghini““ stammen kann) zu ihren „Butter und Brot“-Modellen versprechen. Das Rezept ist also: „Bewerbe das Modell, das sich nur Wenige leisten können. Dann verkaufen sich auch die billigeren Autos besser, weil die Masse glaubt, damit ein Stück des Glanzes erwerben zu können.“
    Siehe dazu auch:
    http://ankommen.nordbayerischer-kurier.de/2011/05/25/275/
    oder
    http://fastvoice.net/2009/06/28/wer-gut-schmiert-der-gut-fahrt/

  8. Pingback: Fastvoice-Blog » Blog Archive » Die Blog-Top-Ten 2011

  9. Anti-Promotion. Es geht auch umgekehrt: bei der Berichterstattung über Virenschutzprogramme wird der – in Windows 8 bereits integrierte – Defender von Microsoft stillschweigend übergangen oder bestenfalls mit Schmähkritik überzogen. Denn obwohl er hervorragende Arbeit leistet, hat er hat zwei entscheidende Nachteile: er ist gratis und er stamm von Microsoft. Das Argument „Was nichts kostet, taugt auch nichts“ gilt für einmal auch für die „Generation Gratis“ und sowieso: Microsoft ist böse. Und das ist auch die einzige echte IT-Innovation der letzten 40 Jahre: das Bashing von Microsoft kommt neu völlig ohne Rechtschreibung aus. Journalismus ist doch bestenfalls unterhaltsam, wer das, was er liest ernst nimmt, ist selbst schuld.

Kommentare sind geschlossen.