Schweizer Studie: Keine Blaulicht-Gefahr bei üblichen LED-Leuchtmitteln

Eine von Schweizer Bundesbehörden veröffentlichte Studie soll zeigen, dass vom Blaulicht-Anteil handelsüblicher LED-Leuchtmittel normalerweise keine Gesundheits-Gefahr ausgeht. Bei „sachkundiger Verwendung“ seien sie auch „für empfindliche Bevölkerungsgruppen wie Kinder oder Personen, die sehr klare, keine oder künstliche Augenlinsen haben“ unbedenklich. Ob jedoch die teils hohen Flimmerwerte ein Risikofaktor seien, lasse sich noch nicht beurteilen.

hue-Go-blau-Carus-lookatme
Laut den Schweizer Bundesbehörden gesundheitlich unbedenklich, unabhängig von der Farbtemperatur: Handelsübliche LED-Lampen und -Leuchten des Modelljahrgangs 2015 – hier als willkürlich von mir gewählte Beispiele die farbsteuerbare „hue Go“-Leuchte von Philips (links) und die „warmweiß“ leuchtende „lookatme“-Lampe von Carus (rechts). Die Studie verrät leider nicht, welche 36 Fabrikate genau in der Stichprobe landeten. (Fotos: W. Messer)

Hier im Blog wurde ja schon mehrfach über den Blauanteil von LED-Licht und eventuelle Gefahren für die Augen durch „Blue Hazard“ diskutiert. Verursacht wird die teils herrschende Angst um die Unversehrtheit der Netzhaut (Stichwort: „Photoretinitis“) durch die meistangewandte Methode zur Erzeugung von weiß erscheinendem Halbleiter-Licht: Ursprünglich rein blau oder violett leuchtende Chips werden mit einer gelben „Phosphor“-Konversionsschicht überzogen, die je nach gewünschter Farbtemperatur mehr oder weniger Blauanteile durchlässt.

Entsprechende Spektraldiagramme (Milliwatt Strahlungsenergie pro Nanometer Wellenlänge) sehen beispielsweise so aus wie bei einer umschaltbaren LEDON-„Dual Color“-Lampe, die sowohl mit ca. 2700 Kelvin „warmweiß“, als auch mit gut 3900 K „neutralweiß“ leuchten kann:

LEDON-Dual-Color-Spektrum-3900-2700

Bei der „kälteren“ Farbtemperatur ist auch die markante Blau-Spitze links deutlich höher. Aber ist sowas schon gefährlich? Normalerweise nein; schon gar nicht bei rundstrahlenden „Birnen“ mit matten Hauben wie der LEDON-Lampe, die eine viel geringere maximale Lichtstärke erzielt als LED-Strahler mit sehr engem Halbwertswinkel. Denn bei der Beurteilung eines Netzhaut-Risikos durch LED-Licht kommt es nicht auf Leistung (in Watt), Gesamt-Lichtstrom (in Lumen) oder die Farbtemperatur an, sondern vor allem auf Candela, Augenabstand und Dauer der direkten Bestrahlung.

UV-Strahlung bei LED-Lampen? Fehlanzeige!

Das Eidgenössische Institut für Metrologie (METAS) hat dazu im Auftrag der Schweizer Bundesämter für Gesundheit und Energie im vergangenen Jahr in einer Stichprobe offenbar 36 handelsübliche LED-Lampen und -Leuchten untersucht sowie eigene Messungen und fremde Publikationen in einer Studie zusammengefasst (pdf-Download).

Die gute Nachricht zuerst: Die für die Augen besonders gefährliche, energiereiche ultraviolette Strahlung (unterhalb etwa 380 Nanometer, siehe im Spektraldiagramm oben links) kriegen Sie hier höchstens in marginalen Dosierungen, um ein Vielfaches schwächer als alle Grenzwerte.

Vier Gruppen für künstliches Licht

Die in weiten Teilen der Welt relevante IEC-Norm 62471 berücksichtigt allerdings nicht nur UV-Strahlung, sondern auch die (bei normalen LED-Leuchtmitteln nicht vorhandenen) Infrarot-Anteile sowie sichtbares blaues Licht (ergänzt durch den technischen Bericht IEC TR 62778), das ebenfalls die Netzhaut schädigen kann, und teilt Beleuchtungsprodukte in entsprechende Gefährdungsgruppen ein:

  • Freie Gruppe: Kein Risiko auch bei sehr langer Bestrahlungsdauer
  • Risikogruppe 1: Geringes Risiko – zwischen 100 und 10.000 Sekunden direkter Exposition ohne Risiko einsetzbar
  • Risikogruppe 2: Mittleres Risiko – zwischen 0,25 und 100 Sekunden gefahrlose Bestrahlung
  • Risikogruppe 3: Hohes Risiko – auch bei sehr kurzer Exposition riskant

Extrem geringer Messabstand

Das Schweizer Institut arbeitete mit schärferen Bedingungen, als sie die IEC-Norm vorschreibt, und reduzierte den Messabstand generell auf nur 20 bzw. 10 cm, um auch die ungünstigsten denkbaren Situationen abzubilden – beispielsweise, wenn Kinder direkt bei einer bodennahen Leuchte spielen. Dennoch gab’s anschließend weitgehende Entwarnung: Die meisten LED-Leuchtmittel (darunter alle Röhren und glühlampenförmigen Rundstrahler) könnten der freien Gruppe  oder Gruppe 1 zugeordnet werden.

Vor allem bei richtstrahlenden Lampen und Leuchten (Spots bzw. Reflektorstrahler) oder augennah positionierten Tischleuchten sei eine „Blue Light Hazard“-Gefahr ab ca. zwei Minuten möglich – lediglich bei einem Produkt schon ab 90 Sekunden (Gruppe 2).

Verbatim-GU5.3-DC-an
Richtstrahlende Reflektor-LED-Lampen wie dieser Verbatim-GU5.3-Spot sind potenziell riskanter als rundstrahlende „Birnen“ – wegen der erheblich höheren Lichtstärke.

„Kaltweiß“ nicht gefährlicher als „Warmweiß“

Zwei für mich besonders überraschende Erkenntnisse liefert die METAS-Studie außerdem:

  • Die gefahrlose Bestrahlungsdauer hängt systematisch weder von der Farbtemperatur noch von der Leistung des LED-Leuchtmittels ab. Also sind offenbar helle, „kaltweiße“ Lampen mit hohem Blauanteil prinzipiell nicht gefährlicher als „warmweiße“.
  • Bei besonders blaulichtempfindlichen Augen mit sehr klaren Linsen (vor allem bei Kindern sowie älteren Menschen, die bei einer Katarakt-OP eine Kunstlinse ohne Blaufilter eingesetzt bekamen) ist die risikolose Bestrahlungsdauer zwar tendenziell kürzer, aber gegenüber „normalen“ Augen nur mit sehr geringer Differenz.

Fazit der Forscher: Bei aktuellen LED-Leuchtmitteln sei nur dann Vorsicht geboten, wenn sie in extrem kurzer Distanz zum Auge verwendet werden. Sicherheitshalber solle man generell einen Abstand von mindestens 20 cm halten oder auf Produkte der „freien Gruppe“ zurückgreifen. Dazu gehören vor allem matte, glühlampen- oder röhrenförmige Retrofits, bei denen es frühestens ab 400, meist sogar erst ab 500 Minuten Dauerbestrahlung aus kurzer Distanz (das sind über acht Stunden!) ein Risiko für die Unversehrtheit der Netzhaut gebe.

Riskantere Leuchtmittel outen sich selbst

Die potenziell gefährlicheren Lampen und Leuchten können Sie normalerweise schon vor dem Kauf identifizieren: Laut IEC-Empfehlung sollten Produkte ab Gruppe 1 mit entsprechenden Informationen und Verwendungsvorgaben des Herstellers, ab Gruppe 2 zusätzlich mit Vorsichts- und Warnhinweisen auf der Verpackung bzw. einem Beipackzettel versehen sein.

Keine Aussage lässt die Schweizer Studie allerdings über eventuelle Langzeitwirkungen der Blaulichtanteile von LEDs zu – etwa auf die altersbedingte Trübung der Augenlinse („grauer Star“). Da diese jedoch weitaus geringer ausfallen als bei natürlichem Sonnenlicht, würde ich hier keine signifkante zusätzliche Gefahr erwarten.

Bis zu 100 Prozent Flimmern gemessen

Schlechter sieht es bei einer anderen Unart vieler LED-Leuchtmittel aus, dem hier ebenfalls schon öfter thematisierten Flimmern, für das es noch keinerlei gesetzliche Vorgaben, Grenzwerte oder Publizierungspflichten gibt. Die METAS-Studie konnte bei ihrem Produkt-Sample alle möglichen Flimmer-Raten zwischen 5 (sehr gut) und 100 Prozent (Elektroschrott) messen – unabhängig von Hersteller oder Bauform, tendenziell aber bei gedimmten Lampen stärker als bei ungedimmten bzw. nicht dimmbaren. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen aus zahlreichen LED-Lampen-Tests.


Horizontale „Rolling Shutter“-Streifen in der Videoaufnahme einer Philips-„hue“-E27-LED-Lampe in „warmweißer“ Einstellung – ein klares Zeichen für starkes Flimmern. Wenn Sie keinen Film sehen, klicken Sie hier.

Je nach Frequenz und Intensität könne länger andauerndes Lichtflimmern schwerwiegende Gesundheitsprobleme wie epileptische Anfälle (bei photosensitiver Epilepsie), Kopf- und Augenschmerzen, eingeschränkte Sehleistung oder nachlassende geistige und körperliche Leistungsfähigkeit verursachen. Konkret sei dieses Risiko im Hinblick auf die LED-Technik jedoch noch nicht zu beurteilen, weil es dazu nur sehr wenige wissenschaftliche Erkenntnisse gebe.

Ohne optische Hilfsmittel – mit bloßem Auge – könnten die meisten Menschen jedenfalls Lichtschwankungen von bis zu 60 Hertz erkennen, einige auch das bei LED-Leuchmitteln häufig auftretende 100-Hertz-Flimmern. Außerdem detektiert die Netzhaut laut den Schweizer Forschern sogar Frequenzen bis 200 Hz, auch ohne unsere bewusste Wahrnehmung. Und was das alles auslösen kann, weiß noch niemand so genau.

Unfallgefahr durch Stroboskop-Effekt

Sicher ist: Durch Flimmerlicht verursachte Stroboskop-Effekte bei schnell bewegten Objekten sind eine hoch riskante Unfallgefahr, weil die exakte Position des Gegenstandes nicht zu jedem Zeitpunkt zu sehen ist. So was kann beispielsweise bei der Bedienung von Werkzeugen und Maschinen mit schweren beweglichen Teilen zu heftigen Verletzungen oder gar Katastrophen führen.

Nicht umsonst werben also immer mehr Hersteller mit ihren „flimmerfreien“ Produkten – das loben wir LED-Fans als zumindest vorsorgliche und sehr nützliche Maßnahme. Schließlich wäre es doch ziemlich dumm, ein beim Aspekt „Blaulicht“ offenbar weitgehend ungefährliches Produkt über die Hintertür „Flimmern“ doch noch mit einem potenziellen Gesundheitsrisiko zu belasten.

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