Die aus der Römerzeit stammenden Juristenweisheit „Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“ hat bis heute Gültigkeit: Nur selten ist der Ausgang eines Gerichtsverfahrens vorhersagbar. Daran ändern auch vermeintlich „eindeutige“ Gesetze nichts, etwa die BGB-Regelung zur regelmäßigen Verjährung eines Anspruchs nach drei Jahren. Es gibt nämlich immer wieder Ausnahmen, Sonderfälle und andere Gesetze, die diese Frist außer Kraft setzen – auch bei der Nachzahlung von Rundfunkgebühren.
Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass sie als Privathaushalt nachträgliche Rechnungen Ihres Energieversorgers rückwirkend seit dem Beginn der Stromlieferung bezahlen müssen – egal, wie lange das schon her ist? Steht in der seit 2005 geltenden „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden (StromGVV)“.
Danach beginnt die Verjährung für private Kunden erst mit Rechnungsstellung, für gewerbliche Abnehmer aber bereits mit der Lieferung. Zuvor galt die „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV)“, in der es diesen Unterschied noch nicht gab und die Verjährungsfrist durchweg erst mit Zustellung der Rechnung startete.
Tatsächlich gab es einige Fälle, in denen der Energieversorger über lange Zeit schlicht vergessen hatte, den Strom zu berechnen und es den Kunden offenbar nicht auffiel oder sie darauf hofften, billig davonzukommen. Das Resultat: Happige Nachzahlungen, die auch gerichtlich nicht angefochten werden konnten.
Wann beginnt die Verjährung?
Rückwirkende Forderungen über mehr als drei Jahre gab es in einzelnen Fällen aber auch bei GEZ– bzw. Rundfunkgebühren, obwohl sich der entsprechende Staatsvertrag seit 1. April 2005 auf die gesetzliche Verjährungsfrist beruft (beim bis 31. März 2005 geltenden Rundfunkgebührenstaatsvertrag war diese Frist auf vier Jahre festgelegt). Streitpunkt war und ist jedoch häufig die Festlegung des Beginns dieser Frist. Die Landesrundfunkanstalten als „Gebühreneintreiber“ und manche Gerichtsurteile sahen diesen Zeitpunkt erst bei Kenntnis einer möglichen Forderung, die Gebührenschuldner und andere Urteile dagegen bereits – je nach geltender Verjährungsfrist – drei oder vier Jahre zuvor.
Einigen Gerichten war das prinzipiell egal, weil sie die „Einrede der Verjährung“ von „Schwarzsehern und -hörern“ von Vornherein als „unzulässige Rechtsausübung“ betrachteten, falls sie ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen und somit für den Eintritt der Verjährung ursächlich gewesen seien. Andere Richter machten – etwa 2005 beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Verweis auf einschlägige Rechtsliteratur – feine Unterschiede zwischen einem „Tun“ und einem „Unterlassen“.
Wer sich also bei der GEZ abmeldet, obwohl er noch Empfangsgeräte bereit hält, würde bei Nachforderungen von manchen Gerichten in Sachen „Verjährung“ schlechter behandelt als jemand, der nur „vergisst“, einen Wohnungswechsel oder eine Gebührenbefreiung anzuzeigen. Darauf verlassen kann man sich aber nicht, es gibt dazu keine einheitliche Rechtsprechung.
Gerichtsurteile statt Gerüchte
Wenig erhellend sind da gerüchteweise verbreitete GEZ-Horrorstorys ohne konkreten Daten, wie mir neulich eine (vermutlich aus dem Raum Bochum) untergekommen ist. Danach solle eine eigentlich gebührenbefreite, gemeinnützige Kindertagesstätte rückwirkend für zehn Jahre rund 4000 Euro nachzahlen müssen, weil die Leitung 2002 den obligatorischen Antrag auf Gebührenbefreiung vergessen haben soll. Auf Nachfrage konnte mir das weder die GEZ noch die Rundfunkgebührenabteilung des WDR bestätigen, weil solche Fälle ohnehin dem Datenschutz unterliegen, so lange sie nicht vor Gericht öffentlich gemacht werden.
Willi Rees von der GEZ-Abteilung „Zentrale Aufgaben“ hatte mir zu dem (fiktiven) Fall unter anderem geschrieben:
Grundsätzlich möglich wäre es durchaus, dass es zu einer rückwirkenden Anmeldung wie die beschriebene kommt. Die gesetzlichen Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrags besagen nun einmal, dass Rundfunkgeräte ab dem Beginn des Bereithaltens zum Empfang anzumelden sind und Befreiungen erst zum Beginn des Monats erteilt werden dürfen, der auf den Monat folgt, in dem uns der Antrag erreicht hat.
Tatsächlich gab es bereits ähnlich gelagerte und aktenkundige Fälle, auch in Nordrhein-Westfalen. Dort wurden die potenziell GEZ-gebührenbefreiten „Mühlenkreiskliniken“ in Minden vom dortigen Verwaltungsgericht im Sommer 2011 (noch nicht rechtskräftig) zur Nachzahlung von rund 242.000 Euro Rundfunkgebühren an den WDR verurteilt (Az.: 3 K 2236/09). Die Forderung betraf 177 TV-Geräte, die von Mai 1999 bis Juni 2006 in den Krankenzimmern der Klinik Bad Oeynhausen in Betrieb und nicht als gebührenbefreit angemeldet waren. Das Krankenhaus war im Juli 2006 vom „Mühlenkreiskliniken“-Verbund übernommen worden. Nach Ansicht des Gerichts ging die Forderung damit auf den neuen Träger über und sei nicht verjährt.
Berufungsentscheidung im Sommer
Bereits im Herbst 2010 hatte es ein Urteil des Verwaltungsgerichtes zu Ungunsten des Klinikverbunds gegeben: Rund 80.000 Euro Rundfunkgebühren sollten rückwirkend für den Zeitraum von Juli 2006 bis Oktober 2008 bezahlt werden, weil erst dann ein Antrag auf Gebührenbefreiung gestellt worden sei und eine rückwirkende Befreiung gesetzlich ausgeschlossen ist (Az.: 8 A 2315/10). Der Berufungsantrag der „Mühlenkreiskliniken“ wurde im September 2011 vom Oberverwaltungsgericht Münster abgelehnt, das Urteil aus Minden somit rechtskräftig und die Forderung fällig. Da hier der fragliche Gebührenzeitraum aber ohnehin auch nach der regelmäßigen Frist von drei Jahren noch nicht verjährt war, ist das keine große Überraschung.
Vermutlich ab Juni dieses Jahres wird sich nach Auskunft des Vorsitzenden Richters Dr. Ulrich Lau das Oberverwaltungsgericht in Münster unter dem Aktenzeichen „19 A 1582/11“ mit dem anderen und wesentlich interessanteren Urteil des Verwaltungsgerichtes beschäftigen, das immerhin einen Gebührenzeitraum von gut sieben Jahren abdeckt. Sollte auch hier der Berufung nicht stattgegeben werden, müssten die „Mühlenkreiskliniken“ mit einem fetten sechsstelligen Betrag für ein lange zurückliegendes Versäumnis einer völlig anderen Verwaltung büßen.
Falls das Mindener Urteil jedoch kassiert würde, gäbe es ein neues Verfahren mit einer nicht zu unterschätzenden Signalwirkung für ähnliche Fälle und weiteren Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs „Verjährung“ bei den bisherigen Rundfunkgebühren.
Rundfunkbeitrag ändert vieles
Mit der Einführung des haushaltsbezogenen „Rundfunkbeitrags“ ab 2013 ändert sich zwar nicht die Verjährungsfrist (weiterhin die gesetzlichen drei Jahre), aber sonst eine ganze Menge: So müssen „Einrichtungen des Gemeinwohls“ (etwa Kitas) künftig 5,99 bis maximal 17,98 Euro (bei mehr als acht Beschäftigten) pro Monat und Betriebsstätte bezahlen (inklusive aller Kraftfahrzeuge); eine generelle Gebührenbefreiung gibt es für sie nicht mehr.
Krankenhäuser werden künftig wie Unternehmen behandelt und nach Anzahl der Beschäftigten veranschlagt. Die Spanne reicht hier von 5,99 bis 3236,40 Euro pro Monat und Betriebsstätte (letzteres aber nur theoretisch ab 20.000 Beschäftigten, die es wohl in keinem deutschen Krankenhaus gibt) plus 5,99 Euro pro Kraftfahrzeug ab dem zweiten.
Derzeit erhalten nach und nach alle der GEZ bekannten Institutionen, Organisationen, Betriebe, Selbständige und Freiberufler Fragebögen zur Datenerhebung (meinen habe ich schon ausgefüllt und zurückgeschickt). Ein fahrlässiges „Verschlafen“ eines Befreiungsantrags wie im Fall der „Mühlenkreiskliniken“ wird es wohl nicht mehr geben können.
Update 6.6.: Heute – rund acht Wochen nach meiner Anfrage – bekam ich eine schriftliche Antwort von WDR-Pressesprecherin Kristina Elisabeth Bausch. Auch sie kann den möglicherweise fiktiven Fall einer GEZ-nachzahlungspflichtigen Kindertagesstätte nicht aufklären, gibt aber einen hilfreichen Hinweis:
Auch in der Abteilung Rundfunkgebühren des WDR ist der von Ihnen geschilderte Fall nicht bekannt und kann anhand der wenigen Informationen nicht nachvollzogen werden. Im Sinne der Gleichbehandlung aller Rundfunkteilnehmer werden die maßgeblichen Gesetze angewandt, auch wenn dies in Einzelfällen zu unangenehmen Nachzahlungen führt. Hier schließen wir uns den Aussagen der GEZ an. Es ist bedauerlich, wenn solche Nachberechnungen bei sozialen Einrichtungen entstehen weil dort versäumt wurde, rechtzeitig einen Befreiungsantrag zu stellen. In solchen Fällen ist es jedoch üblich, dass Zahlungsvereinbarungen getroffen werden, die für diese Einrichtungen vertretbar sind.
Somit dürfte meine bereits im April geäußerte Behauptung zutreffen, dass es durchaus möglich ist, in Gesprächen mit der jeweiligen Rundfunkanstalt oder der GEZ eine einvernehmliche Kompromisslösung zu finden.
Update 17.9.: Heute schrieb mir Dr. Ulrich Lau, Pressesprecher des Oberverwaltungsgerichtes NRW in Münster, dass es erst am 6. Dezember, 10.15 Uhr, eine mündliche Verhandlung um die Nachzahlung von rund 242.000 Euro Rundfunkgebühren an den WDR geben werde (Aktenzeichen 19 A 1582/11, siehe Details oben im Beitrag). Ursprünglich war eine Entscheidung über die Berufung der „Mühlenkreiskliniken“ gegen das Urteil der Erstinstanz bereits im Sommer erwartet worden, nun geschieht das also frühestens am Nikolaustag.
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