Die Rundfunkgebühr ist tot, lang lebe der „Rundfunkbeitrag“! So soll es ab 2013 sein, wenn die 20 Thesen zur Zukunft der Finanzierung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, die der Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof diese Woche vorgestellt hat, zur Realität werden.
Stellt die Weichen für ein neues Rundfunk-Finanzierungssystem: Professor Paul Kirchhof. (Foto: Euku@Wikimedia)
Stark verkürzt sagen diese Thesen: Frei empfangbarer und unabhängiger Rundfunk ist ein unverzichtbares Nutzungsangebot, das von der Allgemeinheit finanziert werden muss. Ein haushaltsbezogener Pflichtbeitrag von monatlich rund 18 Euro – unabhängig von der Art und Anzahl der Empfangsgeräte – wäre verfassungskonform. Die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) könnte aufgelöst werden. Beitragspflichtig wären auch einkommensschwache Haushalte, die bisher gebührenbefreit sind. Diese erhalten jedoch einen Ausgleich bei den Sozialleistungen. Eine Beitragsbefreiung gibt es nur in besonderen Einzelfällen. Dafür wird der Anteil der Werbefinanzierung von öffentlich-rechtlichen Programmen schrittweise auf Null abgebaut.
Die GEZ-Verwaltung in Köln – ein Auslaufmodell. (Foto: GEZ.de)
Trotz der immerhin 78 Seiten ist dieses Gutachten aber nur ein Skelett, das noch zu einem vollständigen Gebilde ausgestaltet und geformt werden muss. Es hinterlässt noch sehr viele offene Fragen, zum Beispiel: Wieso sollen künftig Haushalte, die bewusst auf ein Fernsehgerät verzichten, trotzdem 18 Euro bezahlen statt wie bisher nur 5,76 Euro für Radio und „neuartige Empfangsgeräte“ (Internet-PC, Smartphone etc.)? Wer entscheidet nach welchen Richtlinien über eine Beitragsbefreiung?
Und was ist mit den Millionen Freiberuflern und Selbständigen mit Büro oder Arbeitszimmer und beruflich genutztem Auto? Zu denen gehöre ich auch und das bedeutet bisher: Monatlich einmal die volle Gebühr von 17,98 Euro plus 5,76 (Radio im Auto) oder sogar noch mal 17,98 Euro (Fernsehgerät im getrennten Büroraum), macht monatlich also bis zu 35,96 Euro; völlig unabhängig von der Anzahl der Personen im Haushalt. Der geplante neue Beitrag soll zwar per se „personenbezogen“ sein, würde aber an der Lage nichts ändern oder gerechter machen – im Gegenteil: Dann könnten monatlich volle 36 Euro fällig sein. Das läppert sich und schmerzt in Zeiten sinkender Einnahmen; zum Beispiel für freie Journalisten, die ohnehin schon häufig an der Armutsgrenze lavieren.
Ähnliches gilt übrigens auch für kuriose Fälle, die kaum publik werden: Wenn Sie etwa auf Ihrem mit Radio ausgestatteten Privatwagen mittels Aufkleber Werbung für einen Betrieb machen (und sei es auch nur für die Nebenerwerbs-Winzerei eines Verwandten oder Familienangehörigen), dann gilt das Fahrzeug als „beruflich“ genutzt – egal, ob Sie dafür Geld bekommen oder nicht – und es fällt die reduzierte Rundfunkgebühr von 5,76 Euro an. Werden das künftig ebenfalls volle 18 Euro? Das wäre fürwahr ein teurer Aufkleber.
Schon am 9. Juni – wenn sich der erste Pulverdampf verzogen hat – könnten die Länder-Ministerpräsidenten einen Grundsatzbeschluss zur Zukunft der Rundfunkfinanzierung fassen; unangebrachte Eile bei der konkreten Ausgestaltung würde sich aber angesichts der vielen Detailfragen schnell rächen. Ich sehe schon zahlreiche Prozesse gegen die Neuordnung und massive Proteste von Zwangsbeitragszahlern, die schon jetzt durch die bekannten Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach allen Regeln der Kunst desinformiert und angestachelt werden.
Dabei tummeln sich fachfremde Politiker, die immer noch die Begriffe „Rundfunk“ und „Radio“ durcheinander würfeln und gleichsetzen, sowie Medien mit eigenen Interessen und Engagements, die das öffentlich-rechtliche Angebot als Konkurrenz oder Bedrohung empfinden und im „Kampf“ dagegen keine Peinlichkeit scheuen.
Völlig blödsinnig ist es zum Beispiel, den öffentlich-rechtlichen Programmen das Existenzrecht abzusprechen, weil die Marktanteile zu gering seien, und diese Behauptung auch noch durch eine mehr als lückenhafte Berechnung beweisen zu wollen. Zwar ist es richtig, dass nur ARD, ZDF und Deutschlandradio das Kirchhof-Gutachten in Auftrag gegeben haben. Wenn aber RP Online höchst tendenziös schreibt:
Eine Haushaltspauschale könnte den öffentlich-rechtlichen Sendern Entlastung bringen und wird zugleich eine neue Generaldebatte über Gebührenverschwendung und den grundsätzlichen Sinn von Milliarden-Ausgaben für Sender auslösen, die die Mehrheit der Deutschen längst für verzichtbar hält. Am Montag lag der gemeinsame Marktanteil der Sendungen von Das Erste und ZDF bei 23,8 Prozent.
… dann wird offenbar absichtlich unterschlagen, dass der gebührenfinanzierte Rundfunk weit mehr als nur Das Erste und ZDF ist. Addieren wir nämlich die Marktanteile aller ARD-Programme (also auch der Dritten und Digitalangebote), des ZDF und seiner Digitalprogramme, Phoenix, 3Sat, ARTE und KiKa im Zeitraum September-Dezember 2009, dann kommen wir auf rund 42,5 Prozent.
Und daraus will RP Online ableiten, dass „die Mehrheit der Deutschen“ diese Sender „für verzichtbar“ hält? Aber hallo! Mit der gleichen, schiefen Argumentation könnte man auch die CDU, die SPD und alle anderen Parteien für verzichtbar erklären (kosten alle viel Geld, haben unter 40 Prozent und stören nur bei der Zusammenstellung der RTL II-„News“), das Hallenbad in der Stadt (schweineteuer im Unterhalt, wird höchstens von 30 Prozent genutzt) und natürlich die Zeitung „Rheinische Post“ und ihren Internet-Ableger RP Online (bundesweite Quote sicher deutlich unter 25 Prozent).
Und dabei haben wir noch gar nicht vom öffentlich-rechtlichen Radio geredet, das zwar auch Gebührengelder kostet, aber bei der letzten Media-Analyse immerhin einen Marktanteil von 51,7 Prozent verbuchen konnte. Muss ich jetzt im Umkehrschluss daraus folgern, dass die Mehrheit der Deutschen Privatradios für verzichtbar hält? Vermutlich ja, wenn ich bei RP Online arbeiten würde.
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