Der verbale Kriegsschauplatz „Haushaltsabgabe“ im Zug des geplanten 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags hat derzeit gleich mehrere Schlachtfelder. Diskutiert wird unter anderem, …
- warum auch Menschen für öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlen sollen, die ihn subjektiv oder objektiv nicht nutzen,
- welche Befugnisse die Landesrundfunkanstalten bei der Datengewinnung für die Erhebung haben und künftig erhalten sollen,
- welche persönlichen Daten überhaupt für die Erhebung notwendig sind,
- welche Auskunftspflichten Betroffene und dritte, nichtstaatliche Stellen haben,
- welche Rolle die GEZ künftig spielen soll
- … und wie die Sender mit den rund 7,45 Milliarden Euro Gebühren/Abgaben umgehen bzw. in Zukunft wirtschaften sollen.
Es bringt wenig, das alles in ein großes, unscharfes Konglomerat zu packen und ohne Rücksicht auf die Faktenlage pauschal auf den einen oder anderen Sack zu hauen. Fangen wir mal von vorne an: Die britischen Besatzungstruppen brachten nach dem 2. Weltkrieg als erste der Westalliierten in ihrer Zone die Entwicklung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Vorbild der heimischen BBC ins Rollen. Es sollte künftig keinen „Staatsrundfunk“ wie in der Weimarer Republik geben, der von den Nationalsozialisten als Propaganda-Instrument missbraucht werden konnte.
Als das Radio noch der unumstrittene Fixpunkt in der Wohnstube war: Ein Bauarbeiter genießt 1952 seinen Feierabend. (Foto: Rössing/Deutsche Fotothek@Wikimedia Commons, Lizenz: cc by-sa 3.0)
Zur Finanzierung wurden zuerst de facto Mittel der Alliierten, später die obligatorischen Beiträge der angemeldeten deutschen „Rundfunkteilnehmer“ verwendet. In den Jahrzehnten danach wurde dieses System verfeinert und durch Werbeeinahmen ergänzt. Wegweisend waren dabei jeweils die so genannten „Rundfunkurteile“ des Bundesverfassungsgerichts (BVG), das 1961 unter anderem feststellte:
… Unbeschadet einer noch zu erörternden Besonderheit des Rundfunkwesens gehört der Rundfunk ebenso wie die Presse zu den unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmitteln, durch die Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung mitgebildet wird. Der Rundfunk ist mehr als nur Medium der öffentlichen Meinungsbildung; er ist ein eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung. Diese Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung beschränkt sich keineswegs auf die Nachrichtensendungen, politischen Kommentare, Sendereihen über politische Probleme der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft; Meinungsbildung geschieht ebenso in Hörspielen, musikalischen Darbietungen, Übertragungen kabarettistischer Programme bis hinein in die szenische Gestaltung einer Darbietung.
1986 legte das BVG dann die endgültige Grundlage für das auch heute noch bestehende „duale System“ von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstaltern. In seinem damaligen Urteil hieß es:
Aufgrund der Werbefinanzierung besteht beim Privatrundfunk die Gefahr, dass populären, massenattraktiven Programmen ein großer Teil der Sendezeit gewidmet wird. Deshalb kann der Privatfunk allein die öffentliche Kommunikationsaufgabe, die sich aus der Rundfunkfreiheit ergibt, … nicht erfüllen.
Zusammengefasst begründen beide Urteile die unbedingte Existenzberechtigung eines öffentlich-rechtlichen Systems, das natürlich auch ausreichend finanziert werden muss. Als Grundlage für die Gebührenerhebung wurden auch nach dem Start der privaten Anbieter durch den Rundfunkgebührenstaatsvertrag im Wesentlichen empfangsbereite Geräte bei Bürgern mit eigenem Einkommen oberhalb der Sozialhilfegrenze genommen; unabhängig von der tatsächlichen Nutzung. Es bestand offenbar ein politischer, juristischer und wohl auch gesellschaftlicher Konsens, dass auch jene, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nutzen, das Angebot im Rahmen einer Solidargemeinschaft mitbezahlen müssen. Einzelne Versuche, diesem Zwang zu entkommen, weil man doch nur „Privatfernsehen gucke“, wurden regelmäßig juristisch abgebügelt.
Mit der geplanten Einführung der Haushaltsabgabe würde diese Solidaritätspflicht noch weiter gefasst: Dann soll jeder Haushalt oder Betrieb mindestens einmal diese Abgabe bezahlen – egal, ob empfangsbereite Geräte vorhanden sind oder nicht. Die Anzahl der Personen im Haushalt spielt dabei allerdings keine Rolle mehr – nur bei der Anzahl der Mitarbeiter eines Betriebs gibt es Abstufungen bei der geforderten Abgabesumme. ARD und ZDF schreiben dazu:
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird solidarisch finanziert, und zwar von der gesamten Bevölkerung. Mit ihren Rundfunkbeiträgen stellen die Menschen in Deutschland eine vielfältige Medienlandschaft sicher, in der sich jeder umfassend informieren kann. Mit ihrem Beitrag zahlen sie nicht für bestimmte Programme, sondern finanzieren ein Gesamtangebot, von dem alle profitieren.
Deutschland ist eine Wissensgesellschaft. Der Rohstoff Nummer eins steckt in den Köpfen der Menschen: Information und Bildung. Ein vielfältiges Angebot unabhängiger Medien ist dafür unverzichtbar. Ist die Gesellschaft als Ganzes interessiert und informiert, haben schließlich auch diejenigen etwas davon, die das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen nicht nutzen.
Das ist jetzt erstmal nur eine Behauptung, die über das Juristische hinaus geht und beim Blick auf manche öffentlich-rechtliche Sendung und sonstige Entgleisung auch nicht auf Anhieb einleuchtet. Was habe ich beispielsweise als „Pro7“-Fan davon, wenn mein Nachbar regelmäßig Florian Silbereisen und seine „volkstümlichen“ Musik-Surrogate guckt? Oder wenn der Koordinator des Kinderkanals Millionen im Spielcasino verzockt? Oder wenn in Einzelfällen Produktionsfirmen indirekt aus unseren Gebühren gezahlte Schmiergelder an Mitarbeiter einer ARD-Anstalt abdrücken müssen, um Aufträge zu erhalten?
Nichts habe ich davon, logisch. Aber hier liegt schon das Grundproblem: Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend fragmentisiert und entsolidarisiert. Immer mehr Prominente aus Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Medien sind „Vorbilder“ für egoistisches und gesellschaftlich schädliches Verhalten – die Namen werden Ihnen auf Anhieb einfallen. Die Haltung „erst komme ich, dann lange nichts“ scheint zur Norm zu werden. Bewusst ausgeblendet werden dabei Informationen und Meinungen, die nicht dem eigenen kleinen vorgefassten Weltbild entsprechen. Die Nachfrage nach einem „vielfältigen Angebot unabhängiger Medien“ und damit deren Legitimation scheint deshalb immer geringer zu werden.
Viele Medien haben sich auf diese reduzierten Bedürfnisse eingestellt und bieten nur noch das an, was den Kosmos ihrer jeweiligen Klientel bedient und bestätigt. Für marktfinanzierte Verlage und Sender ist – betriebswirtschaftlich gesehen – der Mensch ohnehin nur als Konsument und Teil einer ominösen Zielgruppe wichtig, als Empfänger von Werbebotschaften oder als Generator von „Page Impressions“ und „Visits“. Nur Wenige nutzen etwa die Möglichkeiten der Informations- und Kulturprogramme oder des Internets tatsächlich zur faktischen Überprüfung des ihnen Servierten, die Meisten bewegen sich ausschließlich in den kleinen Dimensionen des eigenen Horizonts, ihrer überschaubaren und überraschungsarmen Sender und Kreise.
Auch öffentlich-rechtliche Sender kommen an dieser reduzierten Qualität des Medienkonsums nicht vorbei. Um Marktanteile zu halten, springen viele auf den Zug des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ oder fragmentieren ihr Angebot. Schließlich muss es ja eine Rechtfertigung für die Existenz eines Programms geben und die liegt eben nicht nur im gesetzlich geforderten Anspruch der „Grundversorgung“, sondern auch in der Resonanz. Wer sinkende Hörer- und Zuschauerzahlen hat, wer nie in anderen Medien positiv erwähnt wird, der tut sich schwer, eine Solidarfinanzierung zu fordern.
Die öffentlich wahrnehmbare Kritik an den bisherigen Rundfunkgebühren war in den letzten Jahren wegen der sinkenden Akzeptanz einer solidarischen Finanzierung schon sehr laut, die Stimmen gegen die Haushaltsabgabe und den Umständen ihrer Erhebung werden ohrenbetäubend sein, obwohl sich an vielen Stellen nichts an der bisherigen Praxis ändert. Die Art der öffentlichen Datensammlung der Landesrundfunkanstalten über die Meldeämter bleibt im Wesentlichen gleich, die von den Betroffenen etwa im Fall einer Abmeldung eingeforderten Einzeldaten ebenfalls.
Strittig ist dagegen die geplante zwangsweise Mitwirkung nichtstaatlicher Dritter, die bisher keiner Auskunftspflicht gegenüber den Landesrunkfunkanstalten unterliegen und dabei vom Grundgesetz und dem Datenschutzrecht gestützt werden. Es steht zu vermuten, dass das Bundesverfassungsgericht – falls es in einem Streitfall zum Zug käme – die entsprechenden Passagen des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (§ 9, Absatz 1, und § 11, Absatz 4) für nicht rechtmäßig erklären würde. Besser wäre es natürlich, man würde sie bereits vor der Ratifizierung (spätestens am 31. Dezember 2011) streichen.
Aber ich fürchte, auch das wird die Kritik nicht verstummen lassen. Vermutlich geht es einem Großteil der Gegner einer Haushaltsabgabe (vor allem jenen, die bereitwillig Privates auf Facebook, Twitter oder Google+ posten) gar nicht um detaillierte Datenschutz-Bedenken. Vielleicht ist es eher – was teilweise auch offen ausgesprochen wird – die Angst vor einer übergeordneten Kontrollinstanz, die pauschal als Teil einer monströsen „Staatsmacht“ empfunden wird, der man sich ausgeliefert fühlt: „Da werden mir genaue Auskünfte und eine Zwangsabgabe von Politikern verordnet, die dann auch noch über die Partei-Tickets in den Rundfunk- oder Aufsichtsräten der von mir bezahlten Sendern mitmischen und mir Programme vorsetzen, die ich nicht will!“ Eine fortdauernde Verschwörung also.
Wie kommt man bei so einem scheinbar unauflösbaren Gegensatz von These und Antithese zu einer Synthese? Vielleicht braucht es ja – ähnlich wie beim Streit um „Stuttgart 21“ – eine Art Schlichtung, in der beide Seiten ihre Argumente offen legen, munter diskutieren und vielleicht schon zu einer kleinen Annäherung kommen. Da könnte zum Beispiel auf Seiten der öffentlich-rechtlichen Anstalten die wahre Herstellung einer weitgehenden Staatsferne helfen, mit zurückgedrängter Einflussnahme der Parteien. Oder eine strengere und transparentere Ausgabenkontrolle. Da wäre etwa auf Seiten der privaten Medienkonzerne der Verzicht auf juristische und publizistische Scharmützel gegen die Internet-Aktivitäten von ARD und ZDF hilfreich. Und aus Sicht der Kundschaft sollten dann auch gleich noch die unsinnigen Regelungen zur zwangsweisen „Depublizierung“ von Online-Inhalten der „Öffis“ gekippt werden.
Eine Einigung wäre durch eine solche Schlichtung wohl nicht zu erwarten, aber – ebenfalls analog zu „Stuttgart 21“ – eine gute Grundlage für einen Volksentscheid. Spätestens der gäbe Antwort auf die Frage „sind die Gegner einer Haushaltsabgabe wirklich die Meisten oder nur die Lautesten?“ und hoffentlich wieder eine breite, anerkannte Legitimation für eine solidarische Finanzierung.
Natürlich gibt’s da noch die paar Schwarzhörer und -seher, die sich bisher aus Geiz vor den Gebühren gedrückt haben und auch künftig aus Prinzip nichts bezahlen wollen. Die kriegt man aber mit keinem Argument der Welt.
(Disclaimer: Ich verdanke seit einigen Jahren den Großteil meiner Einnahmen der Existenz des öffentlich-rechtlichen Systems, war allerdings den weit überwiegenden Teil meiner Medienlaufbahn für private Verlage und Sender tätig)