So ziemlich jeder TV- und Radiosender, fast jede Zeitung, Agentur und Online-Publikation hat am Sonntag gemeldet, Martin Tomczyk (Bild rechts, Erika39@Wikimedia Commons, Lizenz: CC by 3.0) sei mit seinem Audi vorzeitig neuer DTM-„Meister“ geworden. Auch beim offiziellen DTM-Medienpartner ARD ist regelmäßig von einer „Meisterschaft“ die Rede. Und wer nachprüfen wollte, ob diese Motorsportserie tatsächlich eine offizielle Meisterschaft ist, der bekam zeitweise auch in diversen Wikipedia-Artikeln die Bestätigung dafür. Also alles gut?
Leider nein. Die ehemalige „Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft“ heißt schon seit dem Jahr 2000 „Deutsche Tourenwagen-Masters“ (neuerdings nur kurz „DTM“) und hat seither kein Meisterschaftsprädikat – weder ein internationales von der obersten Motorsportbehörde FIA in Paris noch ein nationales vom „Deutschen Motor Sport Bund“ (DMSB). Ohne dieses Prädikat darf aber eine Serie nicht „Meisterschaft“ oder „Championship“ genannt werden – stattdessen wären etwa „Trophy“, „Cup“ oder eben „Masters“ möglich.
In den offiziellen Pressemitteilungen der DTM werden Sie deshalb auch nie die Worte „Meisterschaft“ oder „Meister“ finden. Das wäre ein Verstoß gegen das Sportgesetz. Den Medien kann das natürlich am Allerwertesten vorbei gehen, die berichten, wie sie’s für richtig halten – und das muss auch der DMSB stillschweigend erdulden. Automobilsport-Koordinatorin Sandra Deckert erklärte mir am Telefon, es sei völlig sinnlos, sich über solche unkorrekte Berichterstattung aufzuregen oder gar dagegen vorzugehen, weil es viel zu häufig passiere. Dem Motorsport-Laien sei ohnehin kaum zu vermitteln, warum sich eine Veranstaltungsserie offiziell „Meisterschaft“ nennen könne und eine andere – wie die DTM – nicht.
Lustigerweise ist aber der DMSB selbst in seinem „Handbuch Auto 2011“ nicht ganz konsequent bei den Bezeichnungen. So heißt es in den Bestimmungen für die DTM unter anderem:
Alle durchgeführten Wertungsläufe werden zur Meisterschaftswertung
herangezogen… Der Fahrer, der die höchste Punktzahl nach Durchführung aller Meisterschaftsläufe erreicht hat, erhält den Titel DTM-Champion 2011
„Meisterschaftswertung“ und „Meisterschaftsläufe“ in einer Serie, die keine Meisterschaft ist – da soll noch einer durchblicken.
Hier geht es aber weniger um „Haarspalterei“, wie manche vermuten, sondern um handfeste Marketing-Interessen. Eine von der FIA lizenzierte internationale Meisterschaft müsste eine Mindestzahl von Rennen und Teilnehmern bzw. Teams in verschiedenen Ländern des Geltungsbereichs haben (welt- oder europaweit) und mit entsprechend „homologierten“ (also einem bestimmten Reglement unterliegenden) Fahrzeugen gefahren werden. Die DTM ist jedoch – von einigen Auslandseinsätzen abgesehen und unabhängig von der gemischten Nationalität der Fahrer – eine in Deutschland verwurzelte Serie mit Rennwagen nur von den zwei Herstellern Audi und Mercedes (2012 kommt BMW dazu), die keiner internationalen Fahrzeugklasse (etwa GT1, GT3 oder World Touring Cars) entsprechen.
Die DTM erfüllt aber nach Auskunft von DMSB-Mitarbeiterin Sandra Deckert auch nicht die Anforderungen für ein nationales Meisterschaftsprädikat. Hier müsste es sich um eine rein deutsche Meisterschaft handeln, die weitgehend nur innerhalb Deutschlands ausgefahren wird. Das aber wäre den Herstellern zu wenig. Schließlich wollen sie ihre Serienfahrzeuge weltweit vermarkten und profitieren von der TV-Präsenz der DTM auch außerhalb Deutschlands – nach der Devise „win on sunday, sell on monday“ (gewinne am Sonntag, verkaufe am Montag). Sie ist also eine Art Zwitterwesen, das weder in das eine noch in das andere Schema passt und deshalb offiziell „von der FIA anerkannte und genehmigte internationale Serie“ genannt wird.
Tomczyks Sieger-Audi 2011 – unter der Tourenwagen-Hülle steckt Formel-Renntechnik. (Foto: Oliver Pohlmann@Wikimedia Commons, Lizenz: CC by 3.0)
Das gilt auch für die DTM-Rennwagen. Oberflächlich sehen sie wie heftig verspoilerte, kriegsbemalte und tiefer gelegte Serienfahrzeuge aus. Unter der Haut steckt aber kein einziges Serienteil, sondern waschechte Formel- und Prototypen-Renntechnik. Ein Monocoque aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff bildet die Zelle, ein Rohrgeflecht sorgt für Stabilität. Der Fahrer sitzt wegen der besseren Gewichtsverteilung weit hinten (fast auf der Höhe, wo beim Serienauto die Rückbank ist) und hat wegen seiner tiefen Sitzposition sowie der B-Säulen hinter den zwei Türen nur eine äußerst eingeschränkte Sicht.
Die Karosserieteile sind – abgesehen von der aerodynamischen Wirkung – hauptsächlich für die optische Annäherung an das Serienmodell und damit auch für die Unterscheidung zwischen den Herstellern notwendig – eine statische Funktion erfüllen sie nicht. Der Audi- und Mercedes-Fan soll schließlich mit „seiner Marke“ mitfiebern können, auch wenn die Rennwagen nichts mit seinem Alltagsauto zu tun haben.
Die DTM-Veranstaltungsorganisation ITR (hinter der ausschließlich die beteiligten Hersteller stecken) hat natürlich vor diesem Hintergrund auch keinen Anlass, sich gegen die fälschliche Bezeichnung „Meisterschaft“ zu wehren. Schließlich verleiht sie der als „Motorsport“ deklarierten Image- und Verkaufsförderungs-Serie zwar unverdiente, aber schmückende Lorbeeren und die Medien machen sich mal wieder – absichtlich oder nicht – zwanglos zu Handlangern der Marketing-Abteilungen.