Toyota GT86 revisited: Das Teilzeit-Biest (Update März 2013)

Schon Mitte des Monats konnte ich innerhalb von drei Tagen die beiden Sportcoupé-Schwestermodelle Toyota GT86 und Subaru BRZ antesten, allerdings nur kurz und mangels entsprechender Infos mit weitgehend aktivierten Fahrhilfen/Spaßbremsen. Diese Woche gab’s einen etwas längeren Probefahrt-Nachschlag mit dem Toyota – diesmal wirklich ohne ESP und Traktionskontrolle.

Toyota GT86 Stand
Sportgerät am Sportplatz: Der neue GT86 in der Toyota-Hausfarbe „inferno orange metallic“ mit einem Kilometerstand von rund 1400. (Foto: W. Messer)

Im öffentlichen Straßenverkehr und bei Trockenheit macht es beim Toyota GT86 in der Regel keinen großen Unterschied, ob die elektronischen Helferlein Dienst tun oder nicht – dafür liegt der Grenzbereich des 200-PS-Hecktrieblers einfach zu hoch. Nennenswerte Traktionsprobleme beim Anfahren oder Herausbeschleunigen aus Kurven gibt es dank des 25prozentigen Sperrdifferenzials eigentlich auch nicht.

Wenn’s jedoch auf größere, abgesperrte Asphaltflächen oder gar eine Rennstrecke geht, macht die Elektronik das vergnügliche Spiel mit der Haftreibung per Lastwechsel und Gaspedal weitgehend zunichte. Die per Knopfdruck aktivierbare „VSC Sport“-Einstellung setzt zwar die Eingriffsschwelle für ESP-Korrekturen ein Stück höher, überlässt aber das Kommando nicht komplett dem vermeintlich zu übermütigen Fahrer. Auch die Traktionskontrolle ist nach kurzem Tastendruck nur bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h vorübergehend in Urlaub.

Auch ohne Fahrhilfen kein Monster

Wer es sich zutraut, kann aber alle Spaßbremsen nachhaltig in Rente schicken – jedenfalls bis zum nächsten Starten des Motors. Dazu muss die „TCS“-Taste im Leerlauf oder bei einer Fahrgeschwindigkeit unter 50 km/h länger als drei Sekunden gedrückt werden, danach melden zwei gelbe Kontrollanzeigen in den Armaturen die dauerhafte Deaktivierung von Stabilitäts- und Traktionskontrolle. Zur Beruhigung: Ein unkontrollierbares Monster wird der GT86 dadurch nicht, stattdessen zeigt er nun einen größeren Teil seines wahren Potenzials.

In 2.-Gang-Kurven bei über 4000 Umdrehungen kann man zum Beispiel problemlos per beherztem Gaspedal-Druck das Heck ein wenig mitlenken lassen, um den Radius zu verkleinern – die Haftgrenze kündigt sich mit den serienmäßig aufgezogenen Michelin-„Primacy“-Reifen relativ weich an. Der Grenzbereich ist sehr breit; ein plötzlicher Haftungsabriss wie bei Slicks oder echten Sportreifen ist selbst auf feuchter Fahrbahn nicht zu befürchten.

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Wenig Grip bei den Serienreifen

Das schnelle Einleiten von „Doughnuts“ oder Drifts bedarf mit den Serienreifen allerdings ein wenig Vorbereitung. Die Fuhre tendiert nämlich dazu, bei schnellem und hartem Leistungseinsatz wegen der dynamischen Radlastverschiebung nach hinten und des überschaubaren Gripniveaus vorne zuerst kurz zu untersteuern und erst danach ins gewünschte Übersteuern zu wechseln. Das kann unter Umständen in der Botanik enden. Deshalb vor dem Einlenken lieber kurz vom Gas gehen und ein wenig in die entgegengesetzte Richtung lenken. Das verursacht einen Lastwechsel nach vorne und beim anschließenden Lenken in die richtige Richtung ein kurzes seitliches „Aufschaukeln“, was vor allem dem kurvenäußeren Vorderrad mehr Grip verleiht und die Hinterreifen entlastet.

Ein so eingeleitetes „Power Oversteering“ bringt den GT86 in sehr „sämige“, gut mit Gaspedal und Gegenlenken zu kontrollierende lange Drifts ohne Überraschungseffekte. Auch das Ausleiten in einen stabilen Fahrzustand bereitet keine großen Probleme. Heftige „Konterschwünge“, wie ich sie von meinem früheren Honda NSX mit Mittelmotor her kenne, konnte ich beim Frontmotor-Toyota nicht beobachten. Mit ein wenig Übung traut man sich deshalb solche Drift-Spielchen auch mal rund um schwach befahrene Kreisverkehrsinseln (nein, das macht Ihr natürlich nicht, liebe Kinder, das ist gefährlicher Unsinn!).

Ein Sportwagen mit überraschend viel Komfort

Sowohl die eher auf Laufleistung statt auf Grip optimierte Serienbereifung, als auch das Feder-/Dämpfer-/Stabi-Setup sind spürbar auf „Kompromiss“ und „Gutmütigkeit“ gebürstet und nicht für kompromisslose Sporteinsätze auf letzter Rille gedacht, obwohl sich der Toyota im Straßenverkehr – und damit weit unterhalb seiner 100% – wie ein Sportwagen anfühlt: Straffe Reaktion auf Unebenheiten, knackiges Einlenken, kaum spürbare Seitenneigung, kurze Schaltwege, spontan ansprechende Bremsen.

Toyota GT86 Kurve
In schnell angegangenen Kurven tendiert der GT86 mit den Serienreifen unter Last zum Einlenk-Untersteuern. Die Seitenneigung ist nicht sehr spür-, aber deutlich sichtbar (hier hatte ich kaum mehr als 0,5 g Querbeschleunigung). (Foto: R. Lipp)

Der GT86 kann aber auch das „Schaf im Wolfspelz“ sein. Wer die sechs Gänge nur bis rund 4000 1/min dreht und im Verkehr mitschwimmt, fährt ein ziemlich komfortables Alltagsauto, das selbst Holperstrecken überraschend rückenschonend wegfedert, genügsam mit dem teuren Super Plus umgeht und auch sonst keine Sportwagen-typischen Unarten zeigt.

Kupplung und Bremse erfordern kein spezielles Wadentraining; die Lenkung wirkt direkt mit ausreichender Rückmeldung, braucht jedoch keine Spinat-gedopten Popeye-Armmuskeln; der 2-Liter-Hochdrehzahl-Motor hat kein Problem mit niedertourig gefahrenem Tempo 50 im 5. Gang (Verbrauch lt. Bordcomputer: unter 4 Liter/100 km/h), beschleunigt von dort gemächlich, aber lochfrei hoch; der 6. Gang ist eher Spar- als Fahrgang; die Sitze sind straff mit ordentlich Seitenhalt, trotzdem bequem.

Nur, wenn Sie’s drauf anlegen, wird aus diesem „Dr. Jekyll“ ein „Mr. Hyde“: Dann röhrt die Maschine unter Schalt-Leucht- und -Piepsgewitter bis rund 7500 1/min, scheint auf jeden Millimeter Gasfußdruck spontan zu reagieren, taucht bei Gewaltbremsungen vorne spürbar ein und erinnert mit diversen, schwer zu ortenden Resonanzfrequenzen im Cockpit daran, dass dieses Teilzeit-Biest eben ein recht günstiges 30.000-Euro-Sportcoupé und keine 100.000-Euro-Luxuslimousine ist.

Wer mit dem GT86 öfter mal derart zügig unterwegs ist, braucht laut Bordcomputer übrigens im Schnitt rund 12 Liter Sprit pro 100 km – der 50-Liter-Tank wäre also nach rund 400 km leer. Man kann ihn aber auch mit 7l/100 km fahren und ist dann immer noch nicht wirklich langsam.

Mehr Sport wagen (sic!) mit anderen Reifen

Wer mehr Biestigkeit haben will und keinen Wert auf Laufleistung legt, der schmeißt die Serienreifen ‚runter und lässt was Griffigeres aus der UHP- oder Sportreifen-Liga aufziehen. Damit wird nicht nur die Rundenzeit kürzer, sondern auch das Einleiten von Drifts sehr erleichtert. Allerdings erfordern solche Gummis wegen des schmaleren Grenzbereichs auch weitaus schnellere und exaktere Reaktionen des Fahrers. Weniger erfahrenen Piloten empfehle ich daher dringend ein Fahrsicherheitstraining für Fortgeschrittene oder besser einen kompletten zweitägigen Lizenzkurs auf einer Rennstrecke.

Prinzipiell gilt alles bisher Geschriebene auch für das weitgehend identische Schwestermodell Subaru BRZ. Der von mir vor knapp zwei Wochen gefahrene und schon etwas ältere Testwagen (Erstzulassung Februar 2012/km-Stand ca. 17.000) wirkte allerdings fahrwerksmäßig deutlich weniger „crisp“ und definiert als der flammneue Toyota. Unwiderlegbares Indiz: Meiner langjährigen Rennstrecken-erprobten Mitfahrerin wurde im Subaru schlecht, im Toyota nicht. Und nun raten Sie mal, welches der beiden Modelle ich gestern bestellt habe.

Update 23.01.2013: Laut dem vor ein paar Tagen erschienenen „sport auto“-Supertest mit dem GT86 ist es offenbar möglich, dass das Auto teils serienmäßig nicht mit Michelin „Primacy“, sondern mit den erheblich Grip-freudigeren Bridgestone RE050A ausgeliefert wird. Im Datenkasten des Hefts heißt es jedenfalls:

„Fahrdynamisch relevante Abweichungen gegenüber der Serienausstattung: Keine“.

Die Performance-Verbesserung mit den Bridgestones gegenüber dem ersten „sport auto“-Kurztest (und meinen Probefahrten) mit Michelin-Reifen war jedoch signifikant.

Meine entsprechenden Nachfragen beim deutschen Toyota-Kundenservice wurden jetzt so beantwortet:

„Im Rahmen der werkseitigen Erstausstattung unserer Fahrzeuge arbeiten wir mit mehreren, namhaften Herstellern zusammen. Der Entscheidung, welcher Reifen wann für welches Modell Verwendung findet, liegen sowohl technische als auch kaufmännische und logistische Betrachtungen zugrunde. Ein Wechsel des Anbieters im Laufe der Produktion ist nicht ungewöhnlich. …

Grundsätzlich kann es in der Tat sein, dass nicht jeder GT86 mit dem gleichen Reifen ausgeliefert wird. Man testet natürlich ausgiebig, grad bei einem Fahrzeug wie dem GT86, welcher Reifen sich optimal der Performance des Fahrzeugs anpasst und mit dem Fahrverhalten harmoniert. Ist dies nicht zu 100% gewährleistet, wird ein Reifenmodell nicht berücksichtigt. Ob Ihr bestelltes Fahrzeug nun einen Michelin- oder Bridgestone-Reifen erhält, können wir von hier aus nicht einsehen.“

Immerhin: Mit ein bisschen Glück könnte mein „Speed Silver Metallic“-farbener Toyota Ende März mit angemessenem Schuhwerk beim Händler landen. 

Update März 2013: Leider waren dann doch die Michelin „Primacy“ montiert, die ich allerdings schon wenige Tage später durch die Bridgestones ersetzen ließ.

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2 Gedanken zu „Toyota GT86 revisited: Das Teilzeit-Biest (Update März 2013)

  1. Vielen Dank für die Beiden Tests, sowohl den Vergleichstest zwischen BRZ und GT86 und dem Nachtest vom Toyota. Sehr fachkundig geschrieben und Bei Ihnen habe auch das Gefühl das Sie das Konzept des Toyobaru verstanden haben.

    • Vielen Dank! Ein bisschen was zu Konzept und Herkunft habe ich zusätzlich noch dort geschrieben (falls Sie’s nicht ohnehin schon gesehen haben).

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