Schönrechnen mit dem SWR

Bernhard NellessenKleine Rechenaufgabe: Wenn ein Journalist von 1982 bis 1987 und von 1995 bis heute beim Südwestfunk, respektive Südwestrundfunk (ab 1998), beschäftigt war – wie lange war er dann insgesamt beim SWR? Wenn man der SWR-Pressestelle, dem dpa-Landesdienst Südwest (lsw), diversen OnlineMediendiensten und den heutigen Print-Publikationen (Quelle: Zeitungskiosk) glauben darf, dann sind das nicht rund 23, sondern satte 30 Jahre.

Zumindest wird so der SWR-Intendant Peter Boudgoust zitiert – aus einer gestern verbreiteten Pressemitteilung über den Verzicht des Fernsehdirektors Bernhard Nellessen (ARD-Pressebild rechts) auf eine dritte Amtszeit:

„Es ist ganz wesentlich seiner hohen journalistischen Kompetenz und seiner Führungskraft zu verdanken, dass der SWR mit seinen Programmangeboten in der ARD und im überregionalen Mantel des SWR-Fernsehens so glänzend dasteht“, … „Umso mehr gilt mein Respekt seiner Entscheidung, denn ich weiß, dass ihm dieser Entschluss nach 30 Jahren im SWR nicht leicht gefallen ist“.

Unterschlagen wird bei dieser Jahresangabe, dass Nellessen seine Laufbahn zwar vor drei Jahrzehnten beim SWF begonnen hat, zwischendurch aber rund sieben Jahre beim ZDF war; sowohl vor als auch hinter der Kamera. Dennoch übernahmen dpa und zahlreiche Redaktionen die SWR-Zeitrechnung unkritisch und ohne eigene Recherche nicht als Zitat, sondern als Faktum:

Nellessen war rund 30 Jahre in Diensten der zweitgrößten ARD-Anstalt.

Die Nachrichtenagentur dapd beließ es dagegen beim wörtlichen Zitat der Boudgoust-Angabe und ergänzte ihre Meldung unter anderem durch die Jahreszahlen des ZDF-Gastspiels von Nellessen – was schon fast als Gegenbeweis des zuvor Zitierten durchgeht.

(Dabei sollte man durchaus vorsichtig mit Jahresangaben des SWR umgehen: Vergleichen Sie mal die Programmzielgruppen-gerechte Anpassung des Geburtsjahrgangs eines SWR1/SWR3-Moderators hier und hier).

Etwas schöngerechnet erscheint auch die Formulierung in der Pressemitteilung, dass der SWR mit seinen TV-Angeboten „so glänzend dasteht“. Tatsache ist, dass das SWR-Fernsehen 2011 mit 6,2% den zweitschlechtesten Marktanteil der dritten TV-Programme in ihrem jeweiligen Sendegebiet verzeichnete – knapp vor dem RBB (der im laufenden Monat Mai mit 6,4 sogar noch vor dem aktuellen 6,0-Prozent-Schlusslicht SWR liegt). Auch vermeintlich „jugendliche“ Programminnovationen wie „Clips trugen eher noch zur momentanen Talfahrt bei. Dazu würde mir jetzt nicht auf Anhieb das Adjektiv „glänzend“ einfallen.

Anlass zur verhaltenen Freude sind allenfalls die Erfolge bei den SWR-Programmzulieferungen für „Das Erste“ – etwa bei der „Tatort“-Reihe. Aber auch hier gibt es Kritiker, die glauben, dass der SWR als zweitgrößte Anstalt im ARD-Verbund eigentlich eine stärkere Position einnehmen müsste.

Nellessen ist noch bis Ende April 2013 Fernsehdirektor – dem einen oder anderen SWR-Mitarbeiter kommt diese Amtszeit offensichtlich jetzt schon erheblich länger vor, als sie bis dahin sein wird.

Disclaimer: Ich war von Herbst 2001 bis Ende 2009 ebenfalls beim SWR, also rund 15 Jahre 😉