Um insgesamt 166 Millionen Euro will der Südwestrundfunk seine Etats bis 2020 kürzen – gerechnet ab 2011. Fast jeder Bereich ist von den Einsparungen betroffen, auch das SWR-Fernsehen. Hier steht man vor der Herausforderung, trotz weniger Geld den unterdurchschnittlichen Marktanteil aufzupäppeln und sogar noch neue Zielgruppen zu erreichen, die die „Dritten“ bisher weder im Mund noch in der TV-Programmliste gebraucht haben: Vorwiegend jüngere Zuschauer und hier speziell die „Digital Natives“. Einer der Versuche ist am 2. April die Sendung Clips – Geschichten, die das Netz erzählt.
Das Logo der neue Sendung. (Quelle: SWR-PR)
So ungefähr könnte das „Brainstorming“ abgelaufen sein: Fernsehdirektor N. will eine neue Show für die „Generation Internet“. Abteilungsleiter A. delegiert den Wunsch an seine Mitarbeiter, weil ihm selbst gerade nichts einfallen will. Redakteur B. verweist darauf, dass Facebook und YouTube die bevorzugten Anlaufstellen für junge Leute im Netz seien, also müsse man irgendwas damit machen. Abteilungsleiter A. findet die Idee gut, erklärt aber, dass so eine Show fast nichts kosten dürfe, weil sonst der Abteilungs-Etat gesprengt würde. Redakteur C. schlägt YouTube als Zielrichtung und Fundus vor, „weil da viel mehr Filme sind als bei Facebook und Filme sind ja prinzipiell ganz gut geeignet für’s Fernsehen. Außerdem kosten die fast nix“.
Abteilungsleiter A. kann seine Begeisterung kaum zügeln: „Ja super, da reicht’s doch, wenn wir wie immer ‚Quelle: Internet‘ oder ‚Quelle: YouTube‘ einblenden und gut ist!“ Redakteur B. dämpft die Euphorie ein wenig mit dem Vorschlag, dann doch lieber die Nutzungsrechte mit den einzelnen Urhebern abzuklären und zu bezahlen: „Da reichen sicher ein paar Euro, das sind ja keine Profis. Ein paar Volos sichten die Videos – die sind ja sowieso den ganzen Tag auf YouTube unterwegs, schneiden sie zusammen, klären die Rechte, ein Redakteur guckt nochmal drüber und dann kostet das immer noch viel weniger als unsere durchschnittliche Sendeminute. Eine Dreiviertelstunde kriegen wir damit locker zusammen.“
Der allgemeine YouTube-Kanal des Südwestrundfunks: Mit 14 Abonnenten und insgesamt rund 4600 Videoabrufen noch stark ausbaufähig.
Fernsehdirektor N. wirft ein: „Solche Clip-Shows sind ja eigentlich nichts Neues. Deshalb machen wir das ganz anders als die Anderen und verzichten auf einen Moderator oder Off-Sprecher – der würde sowieso nicht mehr in unsere Kalkulation passen. Stattdessen schneiden wir völlig unterschiedliche Videos ganz hart hintereinander, blenden jeweils die Namen der Regisseure oder Autoren ein und erklären das einfach zum Stilmittel und zur Kunstform.“
Abteilungsleiter A. muss wie immer die Genialität seines Chefs wortlos anerkennen; auch die Redaktion findet an der Idee nichts Optimierbares mehr und verstummt.
Programmplaner D. plädiert bei diesen Aussichten für einen Sendeplatz abseits der Primetime, um die Stammzuschauer über 60 nicht zu erschrecken – ein Montagabend nach 23 Uhr sei zum Beispiel okay: „Da haben wir normalerweise unter 100.000 Zuschauer und höchstens einen Marktanteil von 2,5 Prozent – also kein Risiko, wenn’s floppt“. „Und wie oft sollen wir das senden?“, fragt Abteilungsleiter A.. „Das lassen wir offen,“ erklärt Fernsehdirektor N., „wir starten im Frühjahr mit einem Piloten und entscheiden dann, wie’s weiter geht. Und außerdem können wir das ja noch zielgruppengerecht in unserem EinsPlus wiederholen.“
„Prima!“, freut sich der Abteilungsleiter, „Dann lasse ich mal unsere Praktikantin einen Pressetext entwerfen, damit wir das rechtzeitig unter’s Volk bringen können.“ „Okay, aber bitte nicht zu viele Großbuchstaben verwenden,“ mahnt Fernsehdirektor N., „wir wollen die Sache erstmal klein halten.“
Und so wurde gestern eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der konsequent Substantive (etwa „Privates“) zu Adjektiven modifiziert wurden – ein Auszug:
Verwackelte Handyvideos aus der umkämpften Stadt Homs sind nur einen Klick von unterhaltsamen Musikvideos entfernt, witziges steht neben schockierendem, privates neben öffentlichem, laienhaftes neben künstlerischem.
Nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist auch diese Passage:
Jede Minute werden 50 Stunden neues Videomaterial hochgeladen, mehr als zwei Millionen Stunden im Monat!
In Wirklichkeit sind es aktuell über 60 Stunden pro Minute (Tendenz steigend), aus denen die Redaktion schöpfen kann. Am 2. April wird das Ergebnis der SWR-Programminnovation erstmals zu sehen sein – es soll eine „Video-Revue des Monats März“ darstellen. Die Wortwahl lässt vermuten, dass die Erfinder sprachlich nicht allzu nahe bei der anvisierten Zielgruppe sind. Die müsste den Begriff „Revue“ wahrscheinlich bei Wikipedia nachgucken und würde sich dann vermutlich fragen, was ein Musiktheater mit einer Videoclip-Show zu tun haben soll.
Ob es bei diesem einen Versuch bleibt oder ob daraus eine monatliche Serie werden soll, ist der Mitteilung übrigens nicht zu entnehmen.
Wenn denn mal mit allen Urhebern was abgeklärt worden wäre…. das wurde wohl nur mit denen gemacht von denen dann die Clips gespielt wurden, für den Einspieler wurde einfach so entnommen….
@Conny: Kann ich leider nicht mitreden. Muss gestehen, dass ich bisher noch keine Folge gesehen habe (gab’s überhaupt mehr als eine?)