Von Hühnern und Hintern (Update 11.1.)

Anwar IbrahimEigentlich war es kein besonders herausforderndes Thema gestern (9. Januar) für die Nachrichtenredaktionen: Der malaysische Oppositionsführer Anwar Ibrahim (Foto: lastsham@Wikimedia Commons, Lizenz CC by 2.0) war von einem Gericht überraschend freigesprochen worden – aus Mangel an Beweisen. Die kleine sprachliche Falle lag aber im angeklagten Delikt: „Sodomie“ bzw. „sodomy“ – so hieß es jedenfalls in den französisch- und englischsprachigen Quellen der Meldung. Wegen des gleichen Vorwurfs musste Anwar Ibrahim bereits im letzten Jahrzehnt für mehrere Jahre ins Gefängnis.

Tagesschau.de übersetzte das so:

Auch damals schon war Anwar wegen Sodomie und darüber hinaus wegen Korruption angeklagt und jahrelang aus der aktiven Politik verbannt worden.

… und bekräftigte das noch in einer Bildunterschrift:

Anwar hat bereits acht Jahre im Gefängnis verbracht, wegen angeblicher Korruption und Sodomie.

Die taz ergänzte das durch Anführungszeichen und ein in diesem Zusammenhang seltsam anmutendes Adjektiv:

Im Fall des malaysischen Oppositionsführers Anwar Ibrahim, der bei einer Verurteilung wegen „konsensualer Sodomie“ mit bis zu 20 Jahren Gefängnis hätte rechnen müssen, ist der überraschende Freispruch natürlich erfreulich.

Der durchschnittliche Deutsche dürfte da spontan und entsetzt an Unzucht mit Tieren denken, denn genau diese Bedeutung hat „Sodomie“ im heutigen Sprachgebrauch. Nun gibt es aber so genannte „false friends“ – Begriffe, die gleich oder ähnlich wie ein deutsches Wort geschrieben werden, aber etwas völlig Anderes bedeuten können. So ist das englische gift bekanntlich kein Gift, sondern ein Geschenk, und das französische batterie meist ein Schlagzeug.

Tatsächlich war nämlich kein Malaysier jemals der Ansicht, der Oppositionsführer könnte Hühnern, Ziegen oder Schafen beigewohnt haben – auch nicht „konsensual“, also im gegenseitigen Einvernehmen (ich vermag mir kaum vorzustellen, wie das juristisch festgestellt werden könnte).

Stattdessen ging es – neben der behaupteten Korruption – um die wiederholte Anklage wegen angeblicher homosexueller Handlungen; im engeren Sinn um Analverkehr, der in diesem muslimischen Land verboten ist. Im Französischen wird das als „sodomie“ und im Englischen als „sodomy“ bezeichnet. Im Deutschen heißt das alles Mögliche, aber schon lange nicht mehr „Sodomie“.

Übrigens, falls Sie mal wieder was mit Tieren übersetzen müssen: Chèvre ist auf Deutsch kein Schäfchen, sondern eine Ziege.

Update 11.1.: Tagesschau.de hat inzwischen (offenbar aber erst heute) durchgängig, kommentarlos und ohne Aktualisierung des ursprünglichen Zeitstempels den Begriff „Sodomie“ durch „Homosexualität“ ersetzt.

3 Gedanken zu „Von Hühnern und Hintern (Update 11.1.)

  1. …mit „sodomie“ wird im Französischen auch bspw. Gruppensex bezeichnet, also fast alles nicht „normale“ Sexualverhalten…

  2. @jokus: Wäre mir neu, wird auch im (oben verlinkten) französischen Wikipedia-Eintrag nicht erwähnt. Aber das muss ja nichts heißen …

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