Absturz nach Maß? (Update 9.11.)

Die Meldung erregte bundesweit nur kurz Aufsehen: Ein Baden-Badener Kommunalpolitiker war am 2. November mit seiner Piper PA-46-350P („Malibu Mirage“) auf dem Baden-Airport (FKB) nahe der Kurstadt gestartet und beim Landeanflug auf den Flugplatz Cottbus-Drewitz abgestürzt. Die Absturzstelle liegt auf polnischem Gebiet nahe der Grenze zu Deutschland. Mit ihm verbrannte seine Frau in dem völlig zerstörten Flugzeug; das Paar hinterlässt drei halbwüchsige Kinder.

Piper PA 46 D-EXTA
Mit dieser Piper PA 46-350P verunglückte Anfang des Monats ein Ehepaar aus Baden-Baden. Die Aufnahme entstand im Februar 2009 im schweizerischen Samedan. (Foto: Lutz Lehmann, jetpics.de [Ausschnitt, Originalbild hier])

Hubert Gassenschmidt (49) war parteilos, dennoch stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Baden-Badener Gemeinderat, seinen Lebensunterhalt verdiente er als orthopädischer Maßschuhmacher. Und hier beginnt möglicherweise die Story hinter den vordergründigen Geschehnissen, die höchstwahrscheinlich nichts mit seiner politischen Tätigkeit zu tun hat. Nach regionalen Medienberichten soll Gassenschmidt in den Wochen vor dem Absturz im Bekanntenkreis mehrfach von Bedrohungen gegen sich gesprochen haben. Er fühle sich unter Druck gesetzt und lebe in Angst.

Konkret sollen unter anderem die Reifen von Gassenschmidts Auto „manipuliert“ worden sein; offenbar noch folgenlos. Gassenschmidt wandte sich mit seinem Verdacht nicht an die Polizei; erst nach dem Unglück meldete sich dort ein Bekannter mit diesen Informationen. Bisher gab es jedoch nach Angaben der Behörden weder an der Absturzstelle noch in Baden-Baden belastbare Hinweise auf eine Fremdeinwirkung oder Bedrohungslage. Allerdings könnten sich die Untersuchungen durch die von der polnischen Staatsanwaltschaft beauftragten deutschen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) noch bis Ende des Jahres hinziehen.

Bei den Stichworten „orthopädische Maßschuhe“ und „Bedrohung“ kam mir spontan eine Meldung vom Oktober in den Sinn: Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hatte Anklage gegen einen Schumacher aus der Kurstadt erhoben, der in über 50 Fällen Konfektions-Markenschuhe als „orthopädische Sonderanfertigungen“ verkauft haben soll. Er soll jeweils nur die Markenlogos aus den Schuhen entfernt und sonst keine weiteren Arbeiten durchgeführt haben. Der Schaden durch „gewerbsmäßigen Betrug“ wurde mit rund 100.000 Euro beziffert.

Daraus darf der Schluss gezogen werden, dass ein Paar orthopädische Maßschuhe rund 2.000 Euro kosten kann und dass die Herstellung normalerweise ein aufwändiges Handwerk ist; zu Lasten der Krankenkassen und der Schuhträger, die meist einen Anteil der Kosten selbst bezahlen müssen. Ich glaube allerdings nicht, dass ein betrogener Kunde so weit gehen würde, den Schuhmacher mit dem Tod zu bedrohen.

Wie verärgert könnte aber ein anderer Spezial-Schumacher sein, wenn er feststellt, dass ein Konkurrent mit unlauteren Mitteln den großen Reibach macht? Verärgert genug, um die Staatsanwaltschaft darüber zu informieren? Schließlich ist es ein erheblicher Unterschied, ob ein solches Paar Schuhe von Grund auf in rund 30 Arbeitsstunden entsteht oder in den wenigen Minuten, die man braucht, um ein Logo aus vorhandenen Schuhen herauszutrennen.

Und wie würde der so an den Pranger gestellte Kollege reagieren? Wahrscheinlich zuerst mit dem Verdacht, dass ihn ein Konkurrent „verpfiffen“ haben könnte; vielleicht auch mit dem Fokus auf eine bestimmte Person. Schließlich ist diese hochspezialisierte Branche vor Ort durchaus überschaubar – man kennt sich.

Und hier könnte nun spekuliert werden, wie weit die gegenseitige Abneigung eskalieren kann. Bis zum mehrfachen Mordversuch durch Sabotage eines Autos oder Flugzeugs? Theoretisch ja; es wäre nicht der erste Fall dieser Art und nach dem tödlichen Absturz eines erfahrenen Hobbypiloten immerhin ein Ansatzpunkt für Ermittlungen. Dafür spricht auch die zeitliche Nähe zwischen Betrugsverfahren und Flugzeugunglück. Die regionalen Medien haben diese Koinzidenz bisher noch nicht thematisiert.

Es dürfte schwer sein, dazu konkrete Informationen von der Staatsanwaltschaft Baden-Baden zu erhalten. Ich habe es trotzdem versucht und warte gespannt auf deren Reaktion in der kommenden Woche.

Update 9.11.: Bisher gibt es noch keine Antwort der Staatsanwaltschaft. Die von den Medien bisher verbreitete und auch von mir übernommene Altersangabe von 46 Jahren habe ich auf 49 korrigiert, nachdem heute die Todesanzeige der Familie mit dem Geburtsdatum Mai 1961 veröffentlicht wurde.

9 Gedanken zu „Absturz nach Maß? (Update 9.11.)

  1. Hallo,

    darf ich mal fragen, wo genau diese Informationen ansonsten öffentlich sind? Ich habe mich ehrlichgesagt ein wenig gewundert, da ich dachte, dass nur ein kleiner Kreis „eingeweiht“ ist.

  2. Alle öffentlich verfügbaren Informationen, auf die ich Bezug nehme, sind im Artikel verlinkt bzw. in der Tagespresse erschienen. Der Rest ist – wie geschrieben – vorerst reine Spekulation.

    Und über was genau soll „nur ein kleiner Kreis eingeweiht“ sein?

  3. Von den Drohungen konnte man soweit ich das bisher überblicke nichts in den Medien erfahren und ich finde es im Moment auch nicht in den verlinkten Quellen? Stand etwas in BT oder BNN?

  4. Über die mutmaßlichen Drohungen berichtete das BT am 6.11., BNN entzieht sich meiner Kenntnis.

  5. würde die Sache auch einmal von einer anderen Seite betrachten!!!!!

  6. Und von welcher Seite, bitte? Leider habe ich immer noch keine weiterführenden Infos von der Staatsanwaltschaft bekommen, es bleibt also nebulös.

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