So einen hatten wir als Radio-Novizen noch nicht erlebt, damals – Anfang 1988 -, als wir gelernte Zeitungsmacher im mittelbadischen Rastatt daran gingen, einen Lokalsender namens „Radio Merkur“ aus dem Boden zu stampfen: Ein vollbärtiger, leicht ergrauter, etwas knorriger Herr mit 53 Jahren, der schon fast 25 Jahre Radioerfahrung auf dem Buckel hatte, der zu den bekanntesten Moderatoren Deutschlands zählte, der uns jungen Hüpfern mit Nachdruck und Tempo erklärte, wie das so funktioniert mit dem Radiomachen und der es uns auch in allen Facetten des Betriebes vorleben konnte.
Heinz Siebeneicher, am 5. November mit 75 Jahren verstorben. (Foto: privat)
Heinz Siebeneicher hieß der gebürtige Berliner, eigentlich Heinz Zipperer, aber mit dem Mädchennamen seiner Mutter Elsbeth als Pseudonym. „Siebeneicher“ war schon damals viel mehr als nur ein Name, eher das Markenzeichen für eine Art von „Sendungsbewusstsein“, das heutige Moderatoren noch nicht mal vom Hörensagen her kennen: Radio, das die Seele wärmt und das Herz massiert, das unterhält, tröstet, aufmuntert, zum Nachdenken bringt, wachhält oder beruhigt – je nach Art der Sendung. Kein elitärer Halbgott im Elfenbeinturm des Studios, sondern der beste Freund, Nachbar, gute Onkel und charmante Gesprächspartner seiner Hörer – noch mehr seiner Hörerinnen.
Seine „warme Röhre“ (wie sein ehemaliger RTL-Chef Rainer H. Popp die Stimme beschrieb) brachte vor allem bei lebenserfahrenen Damen Saiten zum Schwingen, die sie schon längst für verstummt gehalten hatten. Siebeneichers Anekdoten und Sprüche enthielten gerne mehrdimensionale Andeutungen, die nie anzüglich waren, aber von den Hörerinnen häufig genau so verstanden wurden, wie sie verstanden werden sollten – so machte er die wissenden Frauen zu seinen heimlichen Komplizinnen.
Dabei war er nie „Everybody’s Darling“, er konnte und wollte durchaus polarisieren – mit der eher volkstümlichen und Schlager-betonten Musikauswahl seiner Sendungen, mit seinen offen geäußerten Meinungen, mit manchmal ironischer Süffisanz „erzog“ er sich eine klar umgrenzte Stammhörerschaft. Ein Moderator mit „Attitude“ – Haltung -, der keine Angst vor Widerspruch und Opposition hat – so einen finden Sie heutzutage nicht mal mit der Lupe.
Eine große Hilfe dürfte dabei gewesen sein, dass Siebeneicher nie komplett auf das Einkommen seiner Radio- und TV-Tätigkeiten angewiesen war. Zwar hatte er bereits 1955 in Berlin Schauspiel- und Sprechunterricht genommen, aber sich parallel dazu für den gehobenen Verwaltungsdienst bei der Deutschen Post ausbilden lassen. Zusatzqualifikationen als Programmierer und Computerexperte folgten, dazu Engagements als Werbesprecher und ab 1964 als Nachrichtensprecher beim damaligen Südwestfunk in Baden-Baden. Diese Zweigleisigkeit führte er konsequent weiter, bis er zuletzt Oberamtsrat beim Posttechnischen Zentralamt in Darmstadt war.
Dazwischen machte er sich einen Namen als Moderator von Radiosendungen wie „Vom Telefon zum Mikrofon“ (SWF, SDR, von 1971 bis 1981), „Wünsch Dir was bei RTL“ (ab Dezember 1983), beim Hessischen Rundfunk, als TV-Moderator beim ZDF („Sonntagskonzert“, „Vater, Mutter, Brüder, Schwestern“) und sogar als künstlerischer Betreuer des „Inflight Entertainment“ der Lufthansa-Flugzeuge. Nach Zwischenstationen bei „Radio Merkur“ (Rastatt, mit RTL als Rahmenprogramm) und „Radio (7) Victoria“ (Baden-Baden) war Siebeneicher ab 1989 wieder für den Südwestfunk aktiv, als Moderator von „Fröhlicher Alltag“ im Radio und ab 1993 auch für das Pendant im SWF (später SWR)-Fernsehen.
Die große politische Sendung war seine Sache nie, er blieb bei der vermeintlich „leichten Muse“, die allerdings für die Macher alles andere als leicht ist. Gute Unterhaltung zu bieten ist schwer und (fast) jedes Mittel recht. So moderierte Siebeneicher die vierstündige RTL-Sonntags-Wunschsendung nicht aus der Villa Louvigny in Luxemburg, sondern aus dem Keller seines damaligen Bungalows in Reinheim bei Darmstadt; gerne auch lässig im Bademantel und mit Pantoffeln. Seine Kollegen von der Post schalteten dafür jeweils eine 15-kHz-Mono-Tonleitung zwischen Reinheim und Luxemburg, die Musiktitel wurden dagegen – telefonisch abgesprochen – in Stereo von einem Techniker in Luxemburg „gefahren“.
In diesen vier Stunden herrschte im Bungalow Klingel- und Lärmverbot, an das sich der Familienhund aber nicht immer halten mochte. Die regelmäßig rund eine Million Zuhörer störte das zeitweilige Bellen nicht – es verstärkte eher noch das Gefühl, einer zutiefst familiären Veranstaltung beizuwohnen.
Siebeneicher war in über vier Jahrzehnten auch Vorbild und Ansporn für viele junge Kollegen, die inzwischen auch schon im „Mittelalter“ angekommen sind. Der Schreiber dieser Zeilen gehört dazu, aber auch ein gestandener SWR-Moderator wie Kai Karsten, der ab 12. Mai 1988 als Assistent für Heinz und dessen Wunsch- und Grußsendung „Zur Feier des Tages“ bei Radio Merkur schuften musste: Wunschkärtchen ordnen, Musik aus dem Archiv kramen und die manchmal wechselnden privaten Launen des Protagonisten abfedern. Hier begann aber auch mit einem Volontariat Kais Weg zum Redakteur und Moderator; vielleicht kein Zufall, dass der Siebeneicher-Schüler bei SWR3 seit vier Jahren eine beliebte „Personality-Show“ moderiert.
Nach dem Ende von Siebeneichers Radio- und TV-Karriere beim SWR im Dezember 2006 (Im Jahr zuvor war er mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg geehrt worden) war trotz Herzinfarkt und einigen Operationen kein Ruhestand angesagt. Er plante ein Literaturradio, sprach Bücher ein und schrieb eine Autobiografie namens „Leben ist kein Wunschkonzert- Erinnerungen eines Radio-Urgesteins„. Einen großen Teil seines Lebens widmete er nun dem Tierschutz, den seine zweite Frau Waltraud schon längere Zeit mit großem Engagement und dem Verein „Tiere brauchen Freunde e. V.“ betrieb. Das Siebeneicher’sche Heim bietet immer wieder herrenlosen und notleidenden Hunden und Katzen Asyl, wenn keine andere Pflegestelle frei ist.
Auch dem Radio bleibt die Familie verbunden: Heinz‘ Sohn Jan wurde ebenfalls Moderator, allerdings unter seinem bürgerlichen Namen Zipperer; der Schuh „Siebeneicher“ muss nicht zwangsläufig jedem passen.
Heinz Siebeneicher starb am Freitag, 5. November 2010, in Baden-Baden friedlich im Kreis seiner Familie. Seine Freunde und Kollegen haben diese Nachricht am Wochenende mit Bestürzung vernommen und werden ihn nie vergessen. Die Trauerfeier findet am Donnerstag ab 14 Uhr in der Evangelischen Stadtkirche am Augustaplatz in Baden-Baden statt.
Update 8.11.: Der von verschiedenen Medien – unter anderem „Badisches Tagblatt“ und Bild.de – genannte Todestag 6.11. ist falsch. Heinz starb am Abend des 5.11. zuhause.
Lieber Wolfgang,
das ist ein wunderschöner Beitrag über eine der Radiogrößen des Südwestens.
Ich meine mich Erinnern zu können, dass ich Herrn Siebeneicher vorzugsweise am Sonntag Vormittag und am Mittwoch Abend anlässlich von Sendungen gehört habe, in denen einer der am häufigst gespielten Titel „Ruf Teddybär 1-4“ gewesen ist.
Wunderbar die Schilderung über das Klingel- und Lärmverbot. Danke!
Liebe Grüße,
Ulf
Jaja – der alte Hit von Jonny Hill 1979. Lief wohl zuerst Mittwochabends ab 20.20 Uhr bei SWF 1 und SDR 1 („Vom Telefon zum Mikrofon“) und rund 5 Jahre später bei Heinz in der RTL-Sonntagssendung.
Genau. Vom Telefon zum Mikrofon am Mittwoch Abend. Ich behaupte mal ganz frech, dass „Ruf Teddybär 1-4“ das am häufigsten gespielte Lied in dieser Sendung war.
Nochmal Danke für diese Hommage!
Schade eigentlich, dass in keinem Nachruf erwähnt wurde, dass er der Mitbegründer des Vereins der Darmstädter Tonband- und Stereofreunde ist. Ich selbst habe mit Heinz einige Jahre zusammen für die Blindenhörzeitung „Darmstadt aktuell“ gearbeitet, bis er dann nach Baden-Baden ungezogen war. Seine Stimme ist bis heute auf den Jingles der Hörzeitung zu hören.
Mir ist er auch unvergessen, obwohl sein Humor teilweise schon gewöhnungsbedürftig war.
Ich erinnere mich, wie er einmal in einem Lokal die Bedienung fragte, ob die angebotene Gulaschsuppe hausgemacht sei. Als diese es bejahte, sagte er: „Gut, dann bringen sie mir ein Wurstbrot..“.
Danke für den Hinweis mit Darmstadt, ich hatte so was noch dunkel in Erinnerung von seinen Erzählungen Ende der 1980er.