Fast jeder von uns hat es schon erlebt, viele sogar mehrfach oder andauernd: Unerwünschte Werbe- oder Betrügeranrufe, häufig mit unterdrückter Nummer, immer häufiger auch durch Automaten mit aufgezeichneten Stimmen. Das ist nicht nur verboten und lästig, sondern kann bei Gutgläubigen auch zum Verlust hoher Geldbeträge führen. Um mitzuhelfen, dieses üble Treiben mittelfristig zu verhindern, melde ich regelmäßig solche Anrufe per Formblatt an die Bundesnetzagentur in Bonn.
Eingang zur Bundesnetzagentur am Bonner Tulpenfeld. Hier versickern offenbar zahlreiche Beschwerden im Behörden- und Ermittlungsdickicht (Foto: Leit@Wikimedia Commons).
Das ist ein wenig mühsam, erfordert manchmal auch etwas Recherche oder das Geschick, dem Call-Center-Mitarbeiter während des Cold Calls ein paar Angaben zu entlocken. Ich habe bisher aber immer die Hoffnung gehegt, dass das illegale Tun früher oder später in irgend einer Form geahndet wir. Das ist nach Angaben der Bundesnetzagentur zwar tatsächlich ab und zu der Fall, scheint aber trotz erheblich gestiegener Fallzahlen wohl nur in homöopathischen Dosen möglich zu sein. Ein von der „Süddeutschen Zeitung“ am Samstag publizierter „interner Bericht“ der Behörde wird zum Beispiel von der Agentur afp unter anderem so zitiert:
An die mutmaßlichen Täter kommt die Netzagentur … meist gar nicht heran. Viele Hintermänner säßen im Ausland, wo sie Scheinfirmen gegründet hätten. Versuche, Bußgelder zu vollstrecken, liefen regelmäßig „ins Leere“. Die Bundesnetzagentur beklagt in ihrem Bericht laut „SZ“ auch das mangelnde und unkoordinierte Durchgreifen von Polizei und Justiz: Selbst bei großen Betrugsfällen finde „faktisch keine Strafverfolgung statt“. Viele Ermittlungsverfahren würden „sanktionslos“ eingestellt – dies sei eine „untragbare Situation“.
Bereits am Donnerstag veröffentlichte die Bundesnetzagentur allerdings eine themengleiche und ganz und gar nicht interne Pressemitteilung, in der sich Präsident Matthias Kurth unter anderem darüber bitter beklagte:
„Von August 2009 bis April 2010 sind bei uns über 57.000 schriftliche Beschwerden allein wegen unerlaubter Telefonwerbung eingegangen. Wir können nicht alle Beschwerden aufgreifen, weil ein Teil nicht als unerlaubte Telefonwerbung verfolgt werden kann. Dies ist z. B. bei klassischen Meinungsumfragen, beim Abfragen von Kontodaten ohne Werbebezug oder bei automatisierten Werbeanrufen, bei denen keine Person am Telefon ist, der Fall.“
Dieser Teil der Pressemitteilung ist ziemlich weit unten zu finden und wurde deshalb wohl auch konsequent verschwiegen – wer kann schon so viel Text auf einmal lesen? Wenn ich Kurth aber richtig verstanden habe, dann zählen automatisierte Cold Calls offenbar nicht zu den illegalen Praktiken. Hallo, geht’s noch? Gerade bei solchen Anrufen wird dreist versucht, die Adressaten mit Gewinnversprechen zum Wählen einer teuren 0900-Nummer zu verleiten, bei der es aber nichts zu gewinnen, sondern viel zu verlieren gibt. Und das darf nicht als unerlaubte Telefonwerbung verfolgt werden (mal davon abgesehen, dass natürlich die Beweislage bei Automaten-Anrufen etwas dünn ist)?
Und wenn dann doch eine der zahlreichen Beschwerden (über 66.000 allein von Januar bis April 2010, davon – wie oben zitiert – mehr als 57.000 in schriftlicher Form) an die Ermittlungsbehörden weitergegeben wird, dann scheint meist nichts zu passieren. Das führt zwangsläufig zum Frust bei den genervten Beschwerdeführern und zu wachsender Frechheit bei den Betrügern. Denen ist es ja ohnehin egal, ob sie sich auf dem Boden des Gesetzes bewegen; sie können aber auch in den meisten Fällen damit rechnen, ihre dreisten Abzockereien ungestraft durchzuziehen. Und wenn’s mal nicht klappt, dann ist es auch nur eine Ordnungswidrigkeit und die verhängte Geldbuße möglicherweise weit geringer als der bereits erzielte Gewinn.
Damit aber ist die Bundesnetzagentur ein zahnloser Tiger und das „Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen“ ein Placebo, das nur der Sedierung der ahnungslosen Konsumenten aus wahlkampftaktischen Gründen dient. An diesem Mittwoch wird das Gesetz ein Jahr alt, einen Grund zum Feiern gibt’s nicht.
Ja, deine Kritik ist wohl berechtigt.
Ich halte aber ehrlich gesagt dieses ganze Gesetz und das dahinter stehende Konzept für eine ziemliche Fehlkonstruktion. Vielleicht ist das der liberale Fundamentalist in mir, aber ich finde, Verbraucher haben sich bis zu einem gewissen Grade selbst zu schützen.
An sich ja, aber unser Staat hat ja in gewissem Maß auch eine Fürsorgepflicht gegenüber denen, die sich selbst nicht ausreichend schützen können. Gilt für das Sozialsystem und hier z. B. für Senioren, die als Opfer bevorzugt und mit Vorsatz und Gesprächs-„Drehbuch“ überrumpelt werden.
Insofern ist das Konzept überhaupt nicht falsch, aber das Gesetz leider wirklich eine Fehlkonstruktion.
Ich weiß nicht. Ich verstehe deinen Standpunkt, aber ich finde, dass man mündigen Bürgern die Verantwortung für ihre Entscheidungen überlassen kann. Und unmündige Bürger haben ihre eigenen Schutzvorschriften. Wir werden uns da sicherlich nicht einig, und ich bin mir meiner Sache auch bestimmt nicht sicher, aber ich wollte das mal einwerfen.
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