„Spotify“ und die erfundenen 200 GEMA-Millionen

Der schwedische Musik-Streaming-Dienst „Spotify“ mit „über 10 Millionen aktiven Nutzern und mehr als drei Millionen zahlenden Abonnenten“ (Eigenwerbung) hat heute sein Angebot für Deutschland gestartet. Passenderweise kam so am 13. März das 13. „Spotify“-Land dazu.

Noch gibt es allerdings keinen Vertrag mit der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA über die Nutzungsrechte der angebotenen Songs, die GEMA rechnet aber mit einer Einigung. Halten wir also fest: „Spotify“ hat offenbar noch nichts an die GEMA bezahlt und hält sich auch zu den laufenden Verhandlungen bedeckt, die am 26. März abgeschlossen werden sollen.

Das hinderte aber den Chemnitzer Musikproduzenten Daniel Rosenfeld (bekannt durch seine Sounds für das Computerspiel „Minecraft“) nicht daran, über seinen Twitter-Account mit rund 52.000 Followern diesen Tweet zu verbreiten:

In kurzer Zeit wurde diese Nachricht von weit über 50 anderen Twitter-Accounts ohne Rückfrage oder Zweifel am Wahrheitsgehalt übernommen (leider auch von Leuten, von denen ich’s nicht erwartet hätte) und mehrere Dutzend mal favorisiert. Dass Rosenfeld keine Quelle für seine Behauptung angeben konnte, störte offenbar niemanden. Entsprechende Nachfragen einiger weniger kritischer Twitter-Nutzer schienen Rosenfeld nicht zu interessieren.

Dabei behauptet nicht mal „Spotify“ selbst, jemals 200 Millionen Euro an die GEMA überwiesen zu haben. Dieser Betrag ist stattdessen die offiziell genannte Gesamtsumme, die „Spotify“ seit Beginn des Dienstes 2008 an Rechteinhaber (z. B. Verwertungsgesellschaften und Labels) in nun 13 Ländern (inklusive Deutschland) gezahlt hat. Die GEMA bekam offiziell noch nichts von diesem Geldsegen.

Rosenfelds offensichtliche Falschmeldung war erwartungsgemäß ein gefundenes Fressen für alle, die schon bei der Diskussion um YouTube die GEMA für eine Ausgeburt der Hölle hielten und ihre Ansicht nun auf’s Vortrefflichste bestätigt sahen. Auch Lügen können also eine wundervolle Windmaschine für „the next big shitstorm“ sein – nachprüfbare Fakten sind da meistens störend.

Jetzt muss die GEMA allerdings dem schlecht informierten (und möglicherweise auch schlecht bezahlten) Teil ihrer Mitglieder schonend beibringen, dass sie im Moment leider keine zusätzlichen 200 Millionen Euro ausschütten kann. Die Chancen dafür stehen auch in Zukunft nicht gut – angesichts der bisherigen „Spotify“-Vergütungen im Zehntel-Cent-Bereich pro Song-Stream.

Update 01.11.2016: Der jahrelange Rechtsstreit zwischen YouTube und der GEMA um die Nutzungsrechte von Musikvideos scheint nun überraschend und außergerichtlich beendet worden zu sein. Die Videos sind deshalb ab sofort auch für Nutzer mit deutschen IPs zu sehen. Laut GEMA sichert das Abkommen „den rund 70.000 Komponisten, Textdichtern und Verlegern endlich eine Beteiligung für die Nutzung ihrer geistigen Schöpfungen auf YouTube“. Wie viel YouTube jetzt pro Videoabruf bezahlt, unterliegt allerdings einer Stillschweige-Vereinbarung.

4 Gedanken zu „„Spotify“ und die erfundenen 200 GEMA-Millionen

  1. „Internet ist eine tolle Sache: Für jede Frage gibt’s eine passende Antwort und für jedes Vorurteil eine passende Bestätigung.“ (Erwin Pelzig)

  2. @zeitgeist: Nein, das ist nicht unbedingt illegal. Spotify kann z. T. auch Nutzungsverträge mit den Labels bzw. Rechteinhabern direkt abschließen (und hat es in anderen Ländern auch).

    Theoretisch könnte es auch so eine Art „Zwischenabkommen“ mit der GEMA geben, über das allerdings offiziell nichts bekannt ist. Möglich ist in diesem Zusammenhang das Prinzip der „Hinterlegung“, d. h. vorläufige Zahlung auf ein Sperrkonto – siehe hier.

    Außerdem ist die tarifliche und juristische Einstufung des konkreten Dienstes für Deutschland noch nicht endgültig geklärt (werbefinanziertes, Abo-finanziertes Streaming?) und auch technisch nicht direkt z. B. mit dem „YouTube“-Angebot vergleichbar.

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