Lörrach: Der publizistische Amoklauf der Exekutive (Update 22.9.)

Schwer zu sagen, wer heutzutage bei einem dramatischen Geschehen wie dem Amoklauf in Lörrach am vergangenen Sonntag heftiger und irrationaler reagiert: Die teils unmittelbar betroffene Bevölkerung, die nach neuesten Informationen hechelnden Reporter oder die mit der Bewältigung der Situation und Aufarbeitung des Tatvorgangs beschäftigten Institutionen der Exekutive – also Staatsanwaltschaft und Polizei.

Letztere wollten sich in Lörrach offenbar ein publizistisches Wettrennen mit den Medien liefern. Lange bevor belastbare Informationen vorlagen, gaben Behördenmitarbeiter offiziell oder unter der Hand häppchenweise vermeintliche Fakten an die Medien, die sich kurz darauf als falsch entpuppten. So hieß es unter anderem zeitweise, eines der Opfer sei ein kleines Mädchen, das andere eine Frau und die Amokläuferin habe mit einer Maschinenpistole geschossen. Sehr früh äußerten die Ermittler auch die Vermutung, es habe sich um eine „Beziehungstat“ gehandelt.

Natürlich griffen die Reporter jedes dieser Häppchen auf und verarbeiteten sie in ihren Berichten, die allerdings so nicht den Sinn erfüllten, die Leser/Hörer/Zuschauer zu informieren. Stattdessen trugen sie mit all ihren Widersprüchlichkeiten eher zur Verwirrung bei – fehlende Schlüssigkeit wurde durch Spekulationen ersetzt.

Immerhin widerstanden die Redaktionen mehrheitlich der Versuchung, Täterin und Opfer komplett kenntlich zu machen (von den üblichen Verdächtigen abgesehen, die mal wieder unverpixelte Fotos veröffentlichten – sogar vom kleinen Jungen). Wobei man allerdings mit den veröffentlichten Informationen „Rechtsanwältin“, „Lörrach“ und „Sabine R.“ kaum noch eine Anonymität wahren kann.

Staatsanwaltschaft und Polizei waren bereits am Montag offenbar weniger zimperlich und publizierten möglicherweise (siehe Update 22.9.)auf diesem Portal immer noch für jeden Internet-Nutzer sichtbar (ich verlinke die Meldung nicht) – den vollen Namen der Lörracher Rechtsanwältin. Gehört das zur Informationspflicht der Behörden? Erlischt etwa das Persönlichkeitsrecht nach dem Tod? Gilt hier kein postmortales Schutzbedürfnis für eine Frau, die – laut Angaben der Ermittler – „in einer psychologisch angespannten Situation“ war? Immerhin wurde mit der Veröffentlichung ihres Namens automatisch auch noch die gesamte Familie (also auch zwei der Opfer) exponiert.

Es ist aber offenbar zunehmend Mode bei Staatsanwälten, sich durch übereilte und unnötig detaillierte Veröffentlichungen entweder als Behörde insgesamt bei den Medien beliebt zu machen oder einfach das individuelle Geltungs- und Ruhmesbedürfnis zu befriedigen. Steckt etwa in manchem Bürohengst ein verhinderter Sensationsreporter? „Spiegel“-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen vermutete das auch schon beim Verfahren gegen Jörg Kachelmann und erklärte dazu in einem Interview mit news.de:

Die ausnahmslos negative Berichterstattung einzelner Medien unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Kachelmann wurde sicher nicht durch die Verteidigung initiiert. Nach meiner Auffassung hätte es der Staatsanwaltschaft auch gut angestanden, sie nennt sich ja selbst stets die fairste Behörde der Welt, mit der Bekanntgabe von Details zumindest bis zur Anklageerhebung zu warten.

Fairste Behörde der Welt? Das sollte sie in unserem Rechtssystem tatsächlich sein, sie sollte objektiv ermitteln – unabhängig davon, ob bei diesen Ermittlungen Schuld oder Unschuld eines Verdächtigen bewiesen werden. Theoretisch, dann in der Praxis können bereits im Vorfeld des Prozesses Veröffentlichungen der Staatsanwaltschaft Vorverteilung und Strafe zugleich sein. Strafverteidiger Ferdinand von Schirach folgerte daraus Anfang September im „Spiegel„:

Heute brauchen wir kein Urteil mehr, es reicht die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, und die ganze Republik sieht zum Pranger. Ein Oberstaatsanwalt sagte mir einmal: „Die Staatsanwaltschaft gewinnt nicht, und sie verliert nicht. Sie dient dem Recht, das ist schon alles.“ Und genau das ist der Grund, warum Staatsanwälte und Richter in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben.

So gesehen sind der Fall einer HIV-positiven Sängerin, der eines Wettermoderators und der eines Amoklaufs in Lörrach Beispiele dafür, wie es eine Staatsanwaltschaft nicht machen sollte. Es sind nicht die einzigen und werden es wohl auch nicht bleiben.

Update 22.9.: Der Journalist Peter Disch hat mich per Mail dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass der volle Name der Täterin noch nicht in der offiziellen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom Morgen des 20.9. genannt wurde:

„Ist es nicht eher so, dass da ein Verschwörungstheoretiker namens Peter Tobi den Service von News4Press nutzt, um seine Theorien in Umlauf zu bringen – und dieser den Namen der Täterin outet? Dass die Behörden den vollen Namen der Täterin offiziell outeten, ist auf der Basis nicht haltbar.“

Andererseits wurde der Name aber offensichtlich doch von offizieller Seite weitergegeben, vielleicht nicht schon am 20.9., aber wohl spätestens tags darauf. Man findet ihn unter anderem in einer Meldung von news.scotsman.com (absichtlich ohne Deeplink) vom 21.9.:

„Officials said 41-year-old lawyer ….. [hier steht der komplette Name] had suffered a miscarriage at the hospital in the south-western town of Loerrach in 2004, but were not sure if that was the motive for the rampage there.“

Selbstverständlich hätte der Name auch – wie ich im Beitrag schon erwähnte – mit den vorher publizierten Details problemlos per Suchmaschine gefunden werden können.

3 Gedanken zu „Lörrach: Der publizistische Amoklauf der Exekutive (Update 22.9.)

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  2. Dieser Artikel zeigt gut, wie man einem Mann das Leben zur Hölle machen kann (Kachelmann). Auch was da gerade wieder durch die Presse geht, mit diesem Abhörskandal… krank. LG Frederik

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