Seit über 21 Jahren turne ich nun – neben diversen anderen Tätigkeiten – auf verschiedenen Radio-Antennen herum, anfangs beim Stadtradio Freiburg, danach bei SWF3 (sehr kurz), Radio Luxemburg (zur Schulung), Radio Merkur (Rastatt), Radio (7) Victoria (Baden-Baden), RPR1 (Ludwigshafen), Radio Regenbogen (Mannheim) und die letzten gut acht Jahre bei SWR1 in Baden-Baden (den Schnauzbart auf dem Bild gibt’s inzwischen nicht mehr). Zum Jahresende läuft dort nun mein Vertrag als „fester Freier“ aus und wird nicht verlängert; meine letzte Sendung ist in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember.
Nein, ich habe keine silbernen Löffel geklaut oder meine Arbeit schlecht erledigt. Der offizielle Grund ist, dass der SWR für mich keine Zukunftsperspektive bis zum Renteneintritt sieht (zum Hintergrund siehe hier). Das muss man leider so akzeptieren, ist aber auf lange Sicht kein Anlass für Mitleid und Traurigkeit. Acht Jahre lang Sendungen spätabends und (vor allem) nachts, sekundengenaues Arbeiten als „selbstfahrender“ Moderator und blitzschnelles Reagieren auf aktuelle Ereignisse gehen nicht spurlos an Körper, Geist und Privatleben vorüber, das habe ich zwischendurch auf die harte Tour erfahren. Mit zunehmendem Alter wird außerdem das Ankämpfen gegen den natürlichen Biorhythmus nicht leichter, das sollte man nicht unbedingt bis 66 durchziehen.
Der Personalabbau wird weiter gehen in den Sendern und Redaktionen, auf die verbliebenen Mitarbeiter kommen immer neue Aufgaben und Herausforderungen zu und damit steigt die individuelle Belastung mittelfristig an die Grenze des Machbaren und teils auch darüber hinaus. Mein Neid auf die „Zurückbleibenden“ hält sich also im Rahmen. Stattdessen werde ich erst mal eine längere Auszeit nehmen, eine neue Wohnung zusammenbasteln (tue ich nebenher schon seit einigen Monaten), die Batterien aufladen und dann schauen, was sonst so geht und was mir Spaß machen könnte für den nächsten Lebensabschnitt.
In der Rückschau waren das – beruflich und finanziell gesehen – acht meist exzellente Jahre, in denen ich als „Die Nacht“- und „Kopfhörer“-Moderator und teils auch als Redakteur trotz vermeintlicher Formatradio-Zwänge sehr weitgehende Freiheiten hatte, von denen Kollegen auf anderen Sendestrecken oder gar bei anderen Sendern nur träumen können. Fehlen werden mir außer einigen Kolleginnen und Kollegen vor allem auch einige treue Hörer, die mir immer wieder per Mail, in ihren Blogs, in Foren oder durch Anrufe aus allen Teilen der Welt das Gefühl vermittelt haben, hier etwas Sinnvolles zu tun.
Mit der Zeit habe ich vielleicht auch einen Teil meiner anerzogenen Dipfeleschisserei abgebaut (für Nicht-Baden-Württemberger steht die Erklärung hier), obwohl gute Vorbereitung (auf Neudeutsch: Show-Prep) und ein wenig Pedanterie nicht schaden können, wenn man in jeder Stunde ein ordentliches Backtiming hinbekommen oder für eine 5-Stunden-Sendung teils 20 verschiedener Themen Herr werden will, ohne zwischendurch Unsinn zu erzählen. Da bin ich vom eigenen Anspruch her immer noch meilenweit entfernt von locker-flockigen DJs, denen so ziemlich wurscht ist, wie irgendwelche Minister heißen, auf welchem Tabellenplatz grade der VfB Stuttgart steht oder ob für den letzten Musiktitel der Stunde nur noch eine Minute Zeit ist.
Für mich ist eine ideale Sendung immer „durchkomponiert“; also eine abwechslungsreiche und in sich stimmige Mischung, die dem Langzeithörer (den’s in der Nacht weitaus häufiger gibt als tagsüber) einen gewissen Flow vermittelt, der sich auch vom Moderator überträgt. Da traf es sich gut, dass SWR1 auch die passende Musikmischung für meine Altersgruppe bietet – inclusive vieler Songs, mit denen ich musikalisch aufgewachsen bin in den 1970ern und 80ern. So musste ich mich auch selten „verbiegen“, um das Programm mit Pride and Passion zu präsentieren – ein Luxus heutzutage.
Im Übrigen gibt’s natürlich tausende Dinge, die wichtiger sind als die Dienstleistung „Radio“ – das sollte man als Moderator nie vergessen. Wir drücken zwar an unseren Mischpulten manchmal rote Knöpfe, aber keiner davon zündet eine Atombombe oder ist sonst irgendwie lebenswichtig.
Lieber Herr Messer,
ich fühle mich sehr geehrt, in Ihrer Retrospektive auf den zu Ende gehenden Berufsabschnitt als Link, als treuer Hörer, berücksichtigt zu sein.
Ich finde es superduperklasse, andere würden sagen, „professionell“, dass Sie die Uneinsichtigkeit Ihres bisherigen Arbeitgebers bezüglich einer Weiterbeschäftigung so schön sauber trennen von Ihrer Laudatio an die Arbeitsmöglichkeiten, an die Gestaltungsspielräume, die Sie in den vergangenen Jahren beim SWR erfahren durften.
So eine Zäsur, und das haben Sie für sich auch schon voll verinnerlicht, das ist eine Chance zur Weiterentwicklung. So schön es ist, das was wir können gut zu tun, täglich noch besser, irgendwann ist es für uns selber gut, aus der comfort zone, aus der Gewohnheit (so abwechslungsreich sie auch sein mag) herauszukommen, neue Talente in uns zu entdecken, Dinge vielleicht noch mal völlig anders zu sehen.
Ich wünsche Ihnen von Herzen die Anerkennung und Wertschätzung in Ihrem zukünftigen (nicht nur) beruflichen Umfeld, die sie verdienen und die sie Ihnen wohl auch zuteil geworden ist.
Danke für die guten Stunden, die Sie mit Ihrer Stimme und Ausstrahlung mein (oft nächtlicher) Begleiter waren.
Wie heißt es? Man hört sich zweimal im Leben!
Liebe Grüße,
Ulf Runge
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ich grüsse sie herr messer.
mit bedauern habe ich mitbekommen das sie abschied genommen haben von swr1.
erst jetzt auf ihrer privaten homepage bekommt man die wahrheit erzählt.
ich bedauere das für den swr1,leute wie sie,die urgesteine der moderationskunst sind,das für sie kein platz mehr ist.
herzlos,würde ich sagen.
auch frank laufenberg ist weg aus dem äther.
ihr habt mich lange jahre begleitet,durch den abend und die nacht.
jetzt mit 60 jahren,bin ich,sowenig wie sie,bereit den kopf in den sand zu stecken.
glückauf auf all ihren wegen und danke für alles.herzlichst…..d.hein
Sehr geehrter Herr Wolfgang Messer!
Erst jetzt habe ich erfahren, daß Sie nicht mehr bei SWR1 moderieren, was ich sehr sehr schade fand und durch den Hinweis auf Ihre Seite gekommen bin.
Frank Laufenberg ist nicht mehr dabei, Sie nicht mehr, wer wird der Nächste sein? Ich bleibe zwar weiterhin Stammhörer bei SWR1 weil mir das Programm so gut gefällt, aber trotzdem habe ich Sie sehr gerne gehört.
Ein treuer Hörer
Rolf Schmidlin
Schönen Dank für all Ihr Lob und Bedauern. Wen der Sparzwang noch alles treffen kann (auch bei anderen öffentlich-rechtlichen Programmen), wissen wohl noch nicht mal die potenziell Betroffenen so genau. Der Einnahmerückgang entwickelt sich derzeit leider überall erdrutschartig; die Folgen werden deshalb gravierender sein als es sich viele ausmalen können.
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