Wird am Nürburgring „scharf geschossen“? (Update 22.6.)

Schraube M14Beinahe-Katastrophe„, „Zwischenfall„, „Probleme„, „Irritationen„: Zwischen diesen Bezeichnungen changierte bisher die Berichterstattung über ein mysteriöses Ereignis am vergangenen Samstag im Bereich der Nürburgring-Zielgeraden. Kurz nach Ende des Zeittrainings zu einem VLN-Langstreckenrennen (ausgetragen auf der ca. 24,4 km langen Kombination aus Kurzanbindung Grand-Prix-Strecke und Nordschleife) habe es einen lauten Knall gegeben; anschließend sei in der Boxengasse ein rund zehn Zentimeter langes Eisenteil mit hoher Geschwindigkeit knapp am Kopf eines Mechanikers vorbei geflogen.

Augenzeugen zufolge soll es sich um eine Schraube mit der Gewindegröße M12 oder M14 (Symbolfoto links) gehandelt haben. Keine Kleinigkeit: Für diese Schrauben brauchen Sie typischerweise einen 19er- oder 22er-Schlüssel, sie wiegen je nach Typ zwischen 100 und 150 Gramm und können beispielsweise bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h eine kinetische Energie von 50 bis 60 Joule haben. Zum Vergleich: Die deutsche Polizei kalkuliert für ihre „mannstoppende“ Munition eine Energie an der Aufschlagstelle von 50 Joule/Zentimeter.

Je nach Auftreffwinkel und -stelle kann so ein Geschoss am Kopf durchaus tödliche Wirkung haben. Entsprechend groß war die Aufregung in der Boxengasse; zumal es wegen des vorherigen Geräuschs einen Zusammenhang mit den gleichzeitig laufenden Probefahrten der pannenanfälligen Achterbahn „ring°racer“ direkt gegenüber entlang der Zielgerade zu geben schien. Dessen beide Züge sollen beim Start durch einen luftdruckgetriebenen Schlitten explosionsartig auf 217 160 km/h (siehe Update 26.5.) beschleunigt werden.

Das ging allerdings bereits im September 2009 schon mal gründlich schief; der reguläre Betrieb der Achterbahn wurde bisher noch nicht begonnen. Dabei hätten die neuen Nürburgring-Betreiber und die damals noch rein-rote Landesregierung doch so gerne ausnahmsweise mal positive Schlagzeilen gehabt. Bis zu dem Ereignis am Wochenende war aktuell noch ein offizieller Start im Juni geplant; zuvor – voraussichtlich Ende Mai – sollte der TÜV die Anlage noch einmal unter die Lupe nehmen. Ob dieser Zeitplan jetzt noch eingehalten werden kann, soll bis Ende dieser Woche entschieden werden.

Ring-Racer-Plan
Die Lage des „ring°racer“ (blau) an der Start- und Zielgerade (grau). Die Boxengasse ist die etwas schmalere graue Linie und liegt zum großen Teil direkt gegenüber der Achterbahn. (Foto: Pitlane02@Wikimedia Commons, Lizenz GNU 1.3)

Der „ring°racer„-Betreiber, die Nürburgring Automotive GmbH, wollte zuerst keinen Zusammenhang zwischen der Detonation am Samstag und dem fliegenden Objekt sehen, beendete aber sofort die Probefahrten an diesem Tag. Weitere Tests sollen nun ausschließlich abends nach Ende des Rennstreckenbetriebs stattfinden. Die Polizei teilte heute mit, dass sie wegen des Vorfalls nicht ermitteln werde, weil es nicht zu Personen- oder Sachschäden gekommen sei.

Identität und Herkunft des Flugobjekts sind bisher nicht eindeutig geklärt. In einem ersten Bericht war gar fabuliert worden, in einer Box sei „der Kopf einer Mutter“ gefunden worden. Das allerdings würde die vorangegangene Enthauptung eines weiblichen Wesens nahelegen, denn bei Verbindungselementen haben in der Regel nur die Schrauben einen Kopf, Muttern nicht.

Eine Sprecherin des Betreibers bot heute eine Erklärung für den Vorfall an: Ein Explosionsgeräusch könne entstehen, wenn der Startschlitten testweise mit sehr hoher Geschwindigkeit abgeschossen werde und anschließend in die Bremsvorrichtung einschlage. Im Normalbetrieb werde eine solche Beschleunigung nicht erreicht.  „Das Ergebnis ist eigentlich eine Erfolgsmeldung. Alle Bremsen haben gegriffen“, wird die Sprecherin zitiert. Ob bei diesem „erfolgreichen“ Extremtest irgend ein Eisenteil von der Achterbahn abgesprengt worden sein könnte, wurde offen gelassen. Wer lässt sich auch gerne nachsagen, er habe eine Schraube locker.

Update 26.5.: Inzwischen spricht man offiziell nur noch von einem Spitzentempo von 160 km/h. Eine Steigerung auf über 200 km/h soll es erst 2012 geben. Noch keine Neuigkeiten gibt es zum Zeitplan, obwohl diese schon für die vergangene Woche angekündigt worden waren. Weder ist bekannt, ob es tatsächlich noch in diesem Monat eine Abnahme durch den TÜV Süd gibt, noch, ob ein Starttermin im Juni weiterhin realistisch ist.

Update 22.6.: Die geplante Eröffnung wurde erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben.