PRISM & Co.: Die Vollkasko-Mentalität frisst ihre Jünger

Absolute Sicherheit existiert nicht. Umfassende Überwachung und Kontrolle vermitteln nur die trügerische Illusion, dass es sie gäbe – zu einem hohen Preis.

Schaf
Auch weit aufgesperrte Ohren schützen das Schaf nicht vor dem Schlachter. (Foto: xlibber@Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY 2.0)

Mit einem fiktiven „Supergrundrecht Sicherheit“ versucht Bundesinneninister Hans-Peter Friedrich, staatliche Überwachungsprogramme zu rechtfertigen. Durch breite Erfassung, Speicherung und Auswertung von Kommunikationsdaten könnten beispielsweise Terroranschläge verhindert werden. Das mag in Einzelfällen sogar stimmen, zumal doch der Staat die Grundrechte seiner Bürger schützen muss – etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Die Denkweise dahinter ist aber eine, die schon in den 1970er Jahren in die Irre führte, als das Bundeskriminalamt unter seinem damaligen Chef Horst Herold enorme Datenmengen zur Bekämpfung des RAF-Terrorismus sammelte und trotz „Rasterfahndung“ und vollmundiger Sicherheitsversprechen kaum Erfolge vorweisen konnte. Im Gegenteil: Das BKA spielte der RAF teils in die Hände, weil diese doch „die faschistoide Fratze des Staates herausbomben“ wollte.

Wie Terroristen ihr Ziel erreichen

Ähnliches verfolgen Terroristen jeder Couleur und Religion auch heute noch: Ihre Anschläge fordern wie ein Pawlowscher Reflex harte Restriktionen und Überwachungsmaßnahmen des Staates heraus, die jene Freiheiten der Bürger beschneiden, die den Gewalttätern ohnehin zuwider sind. Einige dieser staatlichen Reaktionen liefern noch dazu den Staatsfeinden hervorragende Argumente gegen die Aufrechterhaltung des Systems – Ziel erreicht.

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Wer mit einem Schrotgewehr auf Schnaken schießt und vorhersehbare Kollateralschäden in Kauf nimmt, hat sicher auch Verständnis für PRISM-Datensammler und andere staatliche Schnüffeleien. „Viel hilft viel“ heißt hier das Sicherheits-Credo, das erst mal alle Bürger unter Generalverdacht stellt und dann darauf hofft, in der Datenmasse die wirklich Gefährlichen zu finden.

Es beruht auf dem Vollkasko-Irrtum, dass man Sicherheit proportional mit dem betriebenen Aufwand steigern könne und lässt die Betrachtung des „Grenznutzens“ außer Acht. Der ist in der Wirtschaftswissenschaft der „Zuwachs eines Nutzens, den eine Person oder Gruppe durch eine zusätzliche Einheit eines Gutes erhält“.

Doppelte Überwachung heißt nicht doppelte Sicherheit

Für die Welt der Geheimdienste könnte das beispielsweise bedeuten: Wer statt 10 Millionen Bürger künftig 20 Millionen flächendeckend überwachen will, bekommt nicht die doppelte Sicherheit, sondern einen weit geringeren Zuwachs oder Grenznutzen. Stattdessen werden die bürgerlichen Freiheitsrechte massiv eingeschränkt, obwohl diese – im Gegensatz zur individuellen Sicherheit – im Grundgesetz garantiert werden. Nein, der Staat ist weder in der Pflicht noch in der Lage, das „allgemeine Lebensrisiko“ seiner Bürger zu minimieren.

Völlig ohne Kontroll- und Überwachungsprogramme kommen Polizei und Geheimdienste zwar nicht aus – auch nicht in einer idealen Demokratie. Sie müssen aber einerseits ein vernünftiges Maß finden und andererseits dabei selbst kontrolliert und überwacht werden, um Auswüchse zu verhindern. So lange ihre Kontrollgremien jedoch zahn- und machtlos oder selbst dem Credo der vermeintlichen Vollkasko-Sicherheit hörig sind, wird es weiterhin grundrechtswidrige Perversionen wie PRISM oder Tempora geben.

Kein breiter Widerspruch aus dem Volk

PRISM logo (PNG)In den USA haben Programme wie PRISM (rechts das Logo) nur wenig Protest aus dem Volk zu befürchten. Ein Gemeinwesen, das im Arbeits-, Wirtschaftsleben oder im Gesundheitsbereich kaum Sicherheiten bietet, das jährlich Tausende an Armut sterben lässt, legt größten Wert auf extrem teure Überwachungstechnik zur Steigerung seiner virtuellen Sicherheit vor Terroranschlägen oder sonstigen fiktiven Bedrohungen – schwer nachzuvollziehen, aber dennoch traurige Wahrheit.

Auch in Deutschland können die Vollkasko-Sicherheits-Parteien bei der Bundestagswahl auf eine stabile Mehrheit bauen, der alles Fremde, Unbekannte unsicher erscheint, davor präventiv geschützt werden will und dafür freiwillig auf ein paar mutmaßlich verzichtbare Freiheiten wie die Wahrung der Privatsphäre verzichtet. Beliebtes Motto: „Ich hab‘ ja nichts zu verbergen.“ Die Schafe werden nicht zur Schlachtbank getragen, sie laufen selbst dort hin und legen sich freudig darauf.

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10 Gedanken zu „PRISM & Co.: Die Vollkasko-Mentalität frisst ihre Jünger

  1. „Die Schafe werden nicht zur Schlachtbank getragen, sie laufen selbst dort hin und legen sich freudig darauf.“

    .
    Ein guter Satz, der mich immer an unsere Medien erinnert, die die real existierende Gefahr aus idealistischen Gründen kleinreden oder ausblenden. Obwohl sie später dann mit die ersten sein werden, die geschlachtet werden. Das lehrt die Geschichte und leider auch die Gegenwart. Für die Bürger solcher Staaten und Gesellschaften sind unsere Zustände traumhaft – trotz einiger Fehler bei den Sicherheitsmechanismen. Wir haben den Vorteil, daß wir noch etwas justieren können.
    Zivilisierte Freiheit in einem einigermaßen sicheren und funktionierenden Staat zu genießen hat auch einen Preis. Und der ist eben nicht nur monetär.
    Auch wenn der Preis etwas lästig sein mag – der Verzicht auf Sicherheit wird weit teurer. Und auch das nicht nur monetär.

  2. Hallo, sind also doch noch nicht alle im Urlaub hier!

    Die „Vollkaskomentalität“ hat noch eine andere Dimension, die zwar nur indirekt mir PRISM & Co. zu tun hat, dennoch aber geeignet ist, unsere Lebensqualität nachhaltig zu beeinträchtigen: Alles muss heute TÜV- etc. geprüft sein, überall wird darauf geachtet, dass nichts, absolut nichts passieren kann, wenn Kind versucht, ein Spielzeug zu zerlegen oder Hausfrau/-mann einen Abfluss freimachen will. Hier geht es also nicht nur um „security“, sondern auch um „safety“, die in der EU teilweise extrem übersteigert wird. Selbst vor der Landschaft wird da nicht halt gemacht und sogar Pflanzen ausgerissen (durchaus nicht nur Hanf), weil sich ein Kind daran vergiften könnte.

    Gegen „safety“ an sich ist zwar nichts einzuwenden, aber eine Nebenwirkung von übersteigerter Sicherheit ist auch hier, dass die Resistenz gegenüber dennoch auftretenden Gefahren schwindet. Wenn Chemiebaukästen jedes Knalleffektes beraubt sind und jedes tiefe Loch weiträumig umzäunt und bewacht ist – dann breitet sich das Gefühl aus, dass alles im öffentlichen Raum geprüft und zertifiziert und damit gefahrlos sei, und jeder Sturz auf Glatteis sofort zum Gerichtsprozess führt. Schlimmer noch: Wie bei einem Immunsystem, das durch zuviel Sauberkeit arbeitslos wird und sich dann gegen den eigenen Organismus richtet, kann auch übersteigerte Sicherheit zur „Autoimmunreaktion“ führen: Wenn die Gefahr, mit der unsere Vorfahren seit Millionen Jahren leben mussten, „fehlt“, suchen sich die Menschen diese Gefahr selber, und das leider nicht nur in geordneten Bahnen sondern auch bis zur Selbstüberschätzung oder in dummen Mutproben (schon vor Jahrzehnten haben Jugendliche das S-Bahn-Surfen „entdeckt“).

    Aber auch im Alltag sorgt übersteigerte Sicherheit dafür, dass wir keine schmackhaften goldbraunen Pommes Frites mehr machen sollen, sondern nur noch bei niedriger Temperatur fritierte blassgelbe Dinger (Acrylamid!), und auch in der Beleuchtung nur noch kastrierte Leuchmittel benutzt werden dürfen: z.B. Halogen nur mit UV-Filter (der auch die sichtbaren Anteile beeinflussen dürfte), oder LEDs für Privatpersonen nur in „warmweiß“, und Lampen über 3000 K nur noch gegen Gewerbeschein oder „Gefahrlichtschein“. OK, das ist zum Glück noch kein Gesetz, aber ich fürchte, das wird kommen, wenn die Furcht vor dem blauen Licht auch Brüssel erreicht.

    Durchaus angebracht ist die Penibilität eigentlich nur bei industriegemachten unsichtbaren (und damit für den Menschen unnatürlichen) Gefahren wie chemische Weichmacher im Plastik, Dioxin im Essen oder Radioaktivität in der Umwelt, oder die Betriebssicherheit komplexer technischer Anlagen, die von Laien bedient werden (Fahrzeuge, Elektroinstallation usw.), oder bei Gefahren, die die unnatürliche Lebensweise der Gesellschaft selbst verursacht und jeden Bürger gegen seinen Willen diesen aussetzt (dazu gehören u.a. auch die Klimaveränderung und generell Umweltverschmutzung, aber auch z.B. soziale Gefahren/Arbeitslosigkeit, die durch ein gutes soziales Netz aufgefangen werden müssen).

    Aber ich möchte nicht in einem riesigen Laufstall leben müssen, in dem der Bürger nur noch 150% sichere Dinge benutzen darf (und alles darüber hinaus gehende nur gegen teure Scheine) und die größte Gefahr darin besteht, sich zu Tode zu langweilen.

    Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass es im Heimatland der Vollkaskosicherheit nach wie vor kein durchgehendes Tempolimit auf deutschen Autobahnen gibt…

    • Ich finde schon, dass diese Aspekte recht viel mit den Überwachungs-Auswüchsen zu tun haben – hatte ich auch beim Schreiben im Hinterkopf, weil der Begriff „Vollkasko-Mentalität“ nicht primär politisch gemeint ist und auch bei anderen Komponenten gewisse Schizophrenien zeigt: Bei uns beispielsweise die unlimitierten Teile des Autobahnnetzes, in den USA die seltsamen – von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlichen – Waffengesetze.

      Die grundsätzliche Frage ist: Welches Menschenbild hat ein Staatswesen? Geht es von einem mündigen, selbstverantwortlichen Bürger aus oder nur von zu groß geratenen Kleinkindern, die zu Dummheiten neigen? Je nachdem fällt auch die Politik grundsätzlich andersartig aus.

    • „…und auch in der Beleuchtung nur noch kastrierte Leuchmittel benutzt werden dürfen: z.B. Halogen nur mit UV-Filter (der auch die sichtbaren Anteile beeinflussen dürfte), oder LEDs für Privatpersonen nur in “warmweiß”, und Lampen über 3000 K nur noch gegen Gewerbeschein oder “Gefahrlichtschein”. OK, das ist zum Glück noch kein Gesetz, aber ich fürchte, das wird kommen, wenn die Furcht vor dem blauen Licht auch Brüssel erreicht.“

      UV-Filter sind für das vom Menschen wahrnehmbare optische Spektrum absolut neutral. Meines Wissens nach haben nur einige wenige bestimmte Halogenspots von Osram einen UV-Filter.
      Serienmäßig gibt es von Toshiba, Osram, Philips und Megaman LED-Lampen mit 4.200 – 6.000 K.

  3. „Die grundsätzliche Frage ist: Welches Menschenbild hat ein Staatswesen? Geht es von einem mündigen, selbstverantwortlichen Bürger aus oder nur von zu groß geratenen Kleinkindern, die zu Dummheiten neigen?“

    Das erklärt das Verhalten zum Thema Security besser als zum Thema Safety. Beim Thema Security müssen die Zuständigen mindestens mit böswilligem Mißbrauch eher aber mit gezielten Angriffen von außen und von innen rechnen. Ansonsten würden sie ihr Geschäft nicht richtig machen.
    Und diese Angreifer können durchaus mündig, vollausgebildet aber eben böswillig sein. Und da reichen leider auch sehr wenige Individuen um großen Schaden anzurichten.
    Sehr schwierig ist in diesem Zusammenhang das Thema Industriespionage. Aber in D mußten wir schon immer damit leben. Ich erinnere nur an Echelon. Und wenn ich sehe, daß derzeit ein Großteil der neuen Mobilfunkmasten und Vermittlungsanlagen mit Huawei Geräten bestückt werden, dann denke ich mir auch meinen Teil.

    • Beim Thema „Sicherheit“ geht es aber vor allem in den USA um die Verhältnismäßigkeit der Mittel: Seit 2002 gibt es jährlich im Schnitt 23 US-Terroropfer (meist im Ausland), aber rund 30.000 Tote in den USA durch Schusswaffengebrauch ohne terroristischen Hintergrund.

      Die NSA hat schätzungsweise mindestens 40.000 feste und eine unbekannte Anzahl weiterer freie Mitarbeiter (ist natürlich alles geheim). Die US-Waffenkontrollbehörde ATF beschäftigt rund 4600 Leute und muss sich auch noch um Tabak, Alkohol etc. kümmern.

      • „Viel hilft viel“ ist schon lange die Devise der USA. Wahrscheinlich nicht immer effizient, aber bisher oft effektiv.
        9/11 hat die meisten US-Bürger eiskalt erwischt und steckt ihnen noch immer in den Knochen. Ich war damals beruflich in den USA wenige Meilen von NY. Meine Kollegen sahen im Lifestream von Fox-TV wie die Towers, in denen ihre Verwandten arbeiteten, kollabierten und fragten fassungslos wer so etwas tue. Selbst die Medien tappten die ersten Minuten und Stunden im Dunkeln. Es mag jetzt arrogant klingen, aber da ich die Gefahrensituation seit Anfang der 90er beobachtete, konnte ich ihnen den wahrscheinlichsten Namen sofort nennen. Aber ich sah nur fragende Blicke, der Name sagte in diesem Moment noch keinem was.
        Derzeit erleben wir wahrscheinlich einen „Überschwinger“. Obwohl ich mir da gar nicht so sicher bin. Echelon war auch nicht gerade klein. Die Konzentration unseres Datenverkehrs auf weltweit vernetzte digitale Plattformen macht das Abschöpfen sehr viel leichter und unauffälliger.
        Was ist bei diesem Thema angemessen? Wie so oft steht die unbeantwortbare und unwissenschaftliche Frage „was wäre gewesen wenn nicht“ im Raum. Die Behörden werden sicherlich sagen, daß die Opferzahl durch ihre Arbeit so gering war. Den Beweis müssen beide Parteiel wohl schuldig bleiben.
        Der Umgang mit Waffen hat in den USA eine viel längere Tradition. Ich sehe keine kausale Verbindung zu den o.g. Aktivitäten. Und es gibt auch prominente Gegner der NRA, wie z.B. den Mayor von NY, der sich im Gegensatz zum Präsidenten ganz klar positioniert. Hier fehlt meiner Meinung nach der politische Wille, diesen Sumpf trocken zu legen. Solange sich hier die Grundsatzentscheidungen nicht ändern kann die ATF so klein bleiben wie sie ist.
        Das ist traurig, hat aber m.M. nach nichts mit der NSA zu tun.

        • Der Zusammenhang ist der Staatshaushalt und die Verteilung der Unterstützung bzw. Etats auf die einzelnen Behörden.

          • Sorry, aber meiner Meinung nach noch nicht. Solange Besitz und Mitführen von Waffen legal sind, braucht man keine Behörde, die dagegen vorgeht. Mithin auch kein Budget. Erst wenn man sich umorientiert und den Besitz und das Mitführen von Waffen verbietet, braucht man ein Organ zur Durchsetzung des Rechts bzw. Gesetzes. Was sollte eine vergrößerte AFT denn derzeit tun? Wahrscheinlich dürfte sie nicht mal den Bestand erfassen.
            Und das scheint noch immer die Mehrheit der US-Amerikaner so zu wollen. Also alles demokratisch – ob es uns paßt oder nicht.
            Bei uns ist das anders. Alles verboten bis auf die Ausnahmen. Und die sind registriert, meldepflichtig, geregelt und überwacht. Da machen Kontrollorgane Sinn – und werden dann auch budgetwirksam.

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