Das Edeka-„Costa Concordia“-Paradoxon (Update)

Ahnungslosigkeit und fehlerhafte Berichterstattung sind keine unbedingten Voraussetzungen für das Lostreten eines Internet-„Bashings“ oder –„Shitstorms“ gegen ein Unternehmen, können aber sehr hilfreich sein. Seit vergangener Woche kursieren auf Twitter, Google+, Facebook, in diversen Blogs und News-Portalen in schöner Regelmäßigkeit und immer wiederkehrenden Wellen teils schadenfrohe und hämische, teils empörte Berichte und Kommentare über die Einzelhandelskette Edeka – illustriert mit solchen oder ähnlichen Scans aus der Werbebeilage 3/2012:

Edeka-Costa Concordia
Da bewirbt Edeka also via „Neukauf-Reisen“ Kreuzfahrten mit dem verunglückten Schiff „Costa Concordia“ – für viele Kommentatoren ein #epicfail oder der Beweis für die Schwerfälligkeit von „Totholz“-Werbung. „Der Westen“ vermeldete am 20. Januar:

In einem aktuellen Werbeprospekt wirbt das Unternehmen für ein Angebot auf der Costa Concordia. … Edeka bedauert die Panne … Als das Schiff gekentert ist, seien die meisten Exemplare der Broschüre (Auflage: 7 Millionen) bereits im gesamten Süd-West-Gebiet der Supermarktkette ausgeliefert gewesen

Welche „Panne“? Welche „7 Millionen“? Beides falsch, aber dazu gleich mehr. Diese Woche war außerdem häufig noch vom „aktuellen“ oder „jüngsten“ Edeka-Prospekt die Rede. Die „Salzburger Nachrichten“ schrieben heute:

In einem aktuellen Prospekt wirbt die Supermarkt-Kette Edeka deutschlandweit für eine Reise auf dem gekenterten Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“.

Bei heute.de stand anfangs (Update: Inzwischen wurde der Text umfassend geändert):

Werbung soll Aufmerksamkeit wecken. Das ist Edeka geglückt, allerdings gab es für den jüngsten Beilagenzettel eher Spott. „Für die Kinder ein großer Spaß!“, stand über einem Bild der „Costa Concordia“. Nun hat sich die Firma entschuldigt.

Wer aber am vergangenen Wochenende in der wirklich aktuellen Beilage (ein mehrseitiges Heft, kein „Beilagenzettel“) nachschaute, fand diese Werbung nicht. Sie erschien nämlich bereits am Wochenende 14./15. Januar (und auch nicht 7 Millionen Mal und „deutschlandweit“, sondern nur in einer Auflage von 4,2 Millionen im Bereich von „Edeka Südwest“, wie mir Pressesprecher Christhard Deutscher heute erklärte). Damit löst sich aber die ganze Aufregung in Luft auf.

Fastvoice-Eigenwerbung

Halten wir fest: Die „Costa Concordia“ geriet am späten Abend des 13. Januar in Seenot, die Meldungen darüber häuften sich in der Nacht auf den 14. bzw. am darauf folgenden Samstagmorgen. Zu diesem Zeitpunkt waren die „Edeka Südwest“-Beilagen aber nicht nur schon längst gedruckt, sondern auch auf verschiedenen Wegen bereits verteilt – in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Teilen von Hessen und Bayern an die Austräger sowie an die Zeitungsverlage, die in der Regel eine Zulieferung mindestens drei Tage vor Erscheinungstermin verlangen (also spätestens am Donnerstag für die sonntäglichen Anzeigenblätter).

Als im Lauf des Samstags das Ausmaß der Schiffskatastrophe vom Freitag, den 13., deutlich wurde, hätte Edeka selbst beim besten Willen keine Möglichkeit mehr gehabt, die Auslieferung der Werbebeilage noch zu stoppen. In zahlreichen Briefkästen lag sie sogar bereits. Wer Edeka deshalb Schlamperei oder gar Böswilligkeit unterstellt, würde von der Marketingabteilung prophetische Fähigkeiten oder die Umgehung des „Großvaterparadoxons“ verlangen; also schlichtweg Unmögliches.

Dass Edeka nun die Empörten auf seiner Facebook-Seite (von Edeka gesamt, weil „Edeka Südwest“ keinen eigenen Account hat) um Entschuldigung bittet, wäre bei Kenntnis der Umstände eigentlich überflüssig, weil es nichts zu entschuldigen gibt – auch keine „Panne“, wie sie „Der Westen“ herbei schrieb. Der Eintrag ist allenfalls als ein „Social Media“-gerechter, nett verpackter, kundenfreundlicher Beitrag zur Aufklärung der Ahnungslosen zu verstehen. Vermutlich werden sich trotzdem auch nächste Woche noch manche Netz-Blitzmerker triumphierend als vermeintliche „Entdecker eines Skandals“ aufspielen.

Update 25.1.: Über einige der Reaktionen auf der Edeka-Facebook-Seite habe ich hier noch ein paar Zeilen geschrieben.

12 Gedanken zu „Das Edeka-„Costa Concordia“-Paradoxon (Update)

  1. Ich danke herzlich für diese Erklärung, denn zur Zeit kursiert bei facebook ganz heftig diese vermeintliche „Panne“. Ich habe aber Ihren Beitrag dazugepostet, damit jede/r, die/der an der ganzen Wahrheit interessiert ist, sich sein eigenes Bild machen kann.
    Gerd

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  3. Vielleicht wäre noch zu sagen, dass in der Beilagendispo der „Totholzmedien“ meist ab Freitag mittag niemand mehr zu erreichen ist (Verlagskaufleute!), viele Beilagen je nach Druckverfahren schon weit vor dem Drucktermin der Zeitung in vorproduzierten Büchern der Zeitung landen, oder auf einem Anleger „voraufgewickelt“ sind.

    Selbst die meisten Sonntagsblätter sind am Sonnabend schon beim Zusteller (wer will schon am Sonntag im Lager sitzen), am späten Samstag schon verteilt and so on.

    Die einzige Chance wäre gewesen, alle Zusteller anzuweisen, die Beilage beim Verteilen zu ziehen. Mal gerechnet nur für Anzeigenblätter: 4,2 Millionen Stück, sagen wir mal 300 pro Tour, 3 Touren je Zusteller (und das ist schon sehr optimistisch), etwas über 4.500 Zusteller. Bei Tageszeitungen sind die Touren dann noch einmal kleiner.

    Hier ist die Liste, die rufst DU alle an 😉 – dauert nur 75 Stunden bei einer Minute je Anruf.

  4. Pingback: Costa Concordia im Angebot. | IK:MIT

  5. @brandbarth: … und viele der Zusteller hätten die Beilagen nachträglich wieder aus den Briefkästen fischen müssen – da hätte es wohl in einigen Fällen Einbruchswerkzeugs bedurft 😉

  6. Ohne diesen ganzen Facebook/twitter/Ticker-Quatsch hättet Ihr Blogger allerdings arg wenig zu tun.
    Als regelmäßiger bildblog Leser fällt mir immer öfter aus, dass geistiger Dünnschiss, der als solches schon offensichtlich ist, dann noch genüßlich in allen möglichen Blogs seziert wird.

    Inzwischen sehe ich das als online-Müll, denn gequirlte Sch… riecht auch nicht besser.
    Sorry für die drastischen Worte, aber so langsam verkommt auch bildblog mit solchen Links zur Lachnummer.

  7. @Meinereiner: Der „Facebook/Twitter-Quatsch“ ist eine Sache (um den geht’s hauptsächlich in einem anderen Blog-Beitrag), die hier genannten Medien (heute.de etc.) sind eine andere.

    Im Übrigen ist niemand gezwungen, vermeintlichen „Online-Müll“ zu lesen (in diesem privaten Blog auch noch werbefrei) – das Interesse daran ist dennoch groß. Gefällt Ihnen nicht? Damit kann ich leben, denn – wie man so schön sagt: „Everybody’s darling is everybody’s Arschloch“ 😉

  8. @Herr Messer: Ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden:

    1. Es ist immer einfach zu sagen: “ Man muss es ja nicht lesen „.
    Das ist die einfachste Art sich gerade nicht mit gewissen Themen auseinanderzusetzen.

    2. Es ist vollkommen egal, ob es um Facebook, heute.de oder SPON geht. Es werden in allen online-Medien „höchstakuelle Nachrichten“ abgesondert. Der Punkt ist doch der:
    Es wird eine offenbar belanglose Nachricht abgesetzt. Mit gesundem Menschenverstand wird man feststellen, dass diese Nachricht so nicht stimmen kann. Es regen sich Leute auf, posten Ihren Senf in irgendeinem Forum etc.
    Die Halbwertszeit solcher Geschichten kennen wir ja.
    Im Regelfall erledigt sich das Ganze durch Zeitablauf. Soweit so gut.
    Jetzt kommen die Blogger (natürlich nicht alle) ins Spiel:
    Das Ganze wird wie oben schon geschrieben nochmals seziert und (wie bei Ihnen) vollständig verlinkt.
    Ergebnis: Der Hype um ein belangloses Geschehen wird künstlich verlängert.
    Einerseits wird der Bildzeitung vorgeworfen, dass Sie versehentlich veröffentliche Partyeinladungen publik macht und dadurch das Ganze außer Kontrolle gerät.
    Dies hier ist doch das Gleiche nur in kleinerer Dimension.

    Wenn man sich mal bewußt macht, dass wir hier über ein Edeka Blättchen reden, muss man doch wirklich schmunzeln.

    In diesem Sinne.

    Alles Gute und nix für ungut.

    Gruß
    Meinereiner

  9. @Meinereiner

    Der Link auf bildblog wird doch extra schön geteased:

    „Wolfgang Messer prüft die Kritik an einer Werbebeilage, die im Netz „teils schadenfrohe und hämische, teils empörte Berichte und Kommentare“ hervorrief. […]“.

    Das heißt sie wussten schon vor dem Klick um was es geht. Nichtsdestotrotz nehmen sie sich die Zeit zu klicken, sich den Artikel hier durchzulesen und Kommentare darüber zu verfassen, wie sinnlos nun doch alles im endeffekt ist?

    Es ist auch mitnichten ein „Hype“ der hier fortgeführt wird – eher eine Art Klarstellung. Der „Facebook/twitter/Ticker-Quatsch“ ist (das kann man positiv oder negativ bewerten) nunmal eine der Hauptkommunikationskanäle momentan und es lässt sich nicht vermeiden durch oder eben über diese zu berichten.

    Nun wurde ich durch ihre kommentare dazu verannlasst selber eins zu verfassen. Sie haben erfolgreich zum „Hype“ beigetragen.

    just my two cents,
    don’t worry – i’m from the internet.

    M A

  10. @meinereiner #9: Immerhin hat die Halbwertszeit noch bis zur ZDF-„heute show“ heute Abend gereicht, wo die vermeintliche Panne zu einem müden Gag verwurstet wurde. Von wegen: „Edeka hat diese Woche noch Werbung für die Kreuzfahrt gemacht, hihi!“ – völliger Blödsinn, war vergangene Woche.

    Und ich bleibe dabei: Auch nächste Woche wird’s noch mehr solch „tolle Gags“ geben.

  11. Lieber Herr Messer,

    Sehr interessant, diesen Fall habe ich auch in meinen neuen Diplomarbeits-Beitrag zu Shitstorm Management aufgenommen. Er ist Teil einer sechsteiligen Serie über Auslöser, Treiber und Wirkungen von Shitstorms, und folgt dem ersten Beitrag über gesellschaftliche Werte als Shitstorm Auslöser.

    Viel Spaß beim Lesen – Feedback ist erwünscht, teilen wäre ebenfalls sehr nett.

    Vielen Dank und schöne Grüße aus Münster,
    Tim Ebner

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