ARD will Fernsehwerbung leiser drehen (Update 16.12.)

Eine kleine Revolution startet das ARD-Fernsehen – zufällig in einem Schaltjahr: Schon ab 1. Januar 2012 sollen Werbung und Trailer nicht mehr lauter sein als das „normale“ Programm. Das ZDF hat angekündigt, ebenfalls 2012 eine derartige Regelung einzuführen, das österreichische ORF will damit im Lauf des ersten Quartals loslegen und das Schweizer Fernsehen SRG hat als Stichtag den 29. Februar. Wer öfter mal hektisch zur Fernbedienung gegriffen und die Stummschaltung gedrückt hat, um beim ersten Spot eines Werbeblocks keinen Hörsturz zu erleiden, der wird die segensreiche Tragweite dieser Entscheidung sofort begreifen. Die ARD erklärt das so:

„Zu große Lautstärkeunterschiede am Übergang von Programm zu Werbung können zu Zuschauerbeschwerden führen. Die Akzeptanz von TV-Werbung kann darunter leiden!“

Tatsache ist, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten bei Sendern und Produzenten ein wahrer Lautheitskrieg („loudness war“) entwickelt hat, bei dem natürlich auch die Werbewirtschaft mit immer neuen und extremeren Tricks versucht, ihre Spots aus dem großen Klangbrei irgendwie herausragen zu lassen.

Diesem Krieg werden zwar gewisse Grenzen gezogen – nicht durch die UNO-Menschenrechtskonvention (obwohl das häufig angebracht wäre), sondern durch die technische und administrative Limitierung des Maximaltonpegels einer TV- oder Radio-Ausstrahlung. Werbespots können deshalb nicht wirklich lauter sein als das Programm. Dass sie dennoch lauter klingen, liegt am gnadenlosen Anheben aller leiseren Stellen, bis alles auf dem höchstmöglichem Lautstärkeniveau „glattgebügelt“ (komprimiert) ist und damit die Dynamik (der Unterschied zwischen der leisesten und der lautesten Stelle des Spots) fast „Null“ ist.

Dazu kommen dann noch diverse Schweinereien bei der Bearbeitung des Frequenzgangs und der Einsatz von Geräten und Software-Plug-ins, die sich zum Beispiel „Finalizer“ nennen (wie der Name schon nahelegt, können die bei extremer Einstellung für den endgültigen Exitus eines sensiblen Gehörs sorgen). Die brutale Steigerung der Lautheit kann jedenfalls nach ARD-Ansicht zu „unnatürlichem Klangeindruck, akustischem Stress“ und „dem Verlust von Klangqualität“ führen. Wahre Worte, die nicht nur für Werbespots gelten.

Der Effekt dieser Komprimierung lässt sich sowohl sehen als auch hören. Ich habe dazu mal einen Phantasie-Werbespot völlig ohne Komprimierung oder Klangbearbeitung („linear“) gesprochen und diese Aufnahme anschließend heftig modifiziert. Im Bearbeitungsfenster des Audioprogramms ProTools sieht das so aus:

Spot-Waveform1

.
Spot-Waveform2

Im oberen Bild mit der Originalaufnahme sehen Sie deutlich die großen Lautstärkeunterschiede in der Wellenform, unten sind fast alle Signalspitzen auf dem gleichen, hohen Niveau. Wenn Sie auf einen „Play“-Button oder eines der Bilder klicken, hören Sie die jeweilige Spot-Version. Vermutlich sagen Sie dann: „Aber die untere ist doch mit viel höherem Pegel aufgenommen als der obere!“ Nein, ist sie nicht, beide Versionen haben exakt den gleichen Maximalpegel (0 dB auf einem rtw-Peakmeter), aber die „Lautheit“ unterscheidet sich gewaltig – etwa so wie der Dialogton einer ARD-Vorabendserie vom dazwischen laufenden Werbeblock.

Damit soll nun Schluss sein. Ab Januar ist bei der ARD nicht mehr der Maximalpegel eines Spots maßgeblich, sondern ein „gewichteter Mittelwert“. Damit soll die Lautheit eines Beitrags „objektiv, reproduzierbar und vergleichbar“ zu messen sein. Eine Einheit gibt’s dafür auch: LUFS (Loudness Units Full Scale). Die Regelungen dafür wurden schon 2010 von der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) und der Europäischen Rundfunkunion (EBU) erarbeitet, teilweise werden sie in den USA und Europa schon per Gesetz oder freiwillig umgesetzt, in Frankreich und den Niederlanden gibt es dafür ab nächstes Jahr gesetzliche Vorgaben.

EBU-Logo R128Die ARD setzt ab Januar auf die Produktionsrichtlinie „EBU R128″ (links das Logo mit der stilisierten „128“) und genau definierte LUFS-Maximalwerte, die auch bei der Produktion des „normalen“ Programms angewendet werden. Deren Einhaltung kann nur mit Hilfe von neuen, teuren Messgeräten kontrolliert werden – bisherige Studio-Pegelmesser sind dafür nutzlos. Spots, die über den Werten liegen, wird das ARD-Sendezentrum nicht mehr annehmen, sie können aber in der Werbespotbearbeitung der „WDR mediagroup“ lautheitsnormiert über ein Messgerät eingespielt werden, falls das Produktionsstudio selbst dazu nicht in der Lage ist. Ältere Spots aus dem Archiv sollen dort mit einer Spezial-Software nachbearbeitet werden, damit wirklich kein Werbeblock mehr „Lautheits-Ausreißer“ hat.

Die Freude über diesen radikalen Schritt hält sich bei mir jedoch in Grenzen, weil ausgerechnet das öffentlich-rechtliche Fernsehen vorprescht, das nach 20 Uhr ohnehin keine nervige Unterbrecherwerbung in seine Spielfilme und Shows knallen darf. Weder von den bekannten privaten TV-Werbespot-Brüllern noch von öffentlich-rechtlichen oder privaten Radiosendern sind bisher konkrete Pläne zu hören, nur etwa die vage Aussage des ProSiebenSat.1-Vermarkters „SevenOne Media“: „Wir prüfen derzeit, inwieweit die Richtlinie uns betrifft und werden dann entsprechend reagieren“. Bleibt also immerhin die Hoffnung, dass eine positive Resonanz von Zuschauern und Werbetreibenden auf die „EBU R128″-Lautheitsbegrenzung für Nachahmer sorgen könnte.

Richtig fabelhaft wäre es, wenn damit sogar ein erster Schritt hin zu einem Ende des auch in der Musikbranche eskalierten „loudness war“ getan werden könnte. Aber das sage ich jetzt nur ganz leise …

Update 16.12.: Überraschend gibt es nun offenbar doch schon eine Einigung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sendern über die Umsetzung der EBU-Norm. Beabsichtigt ist eine gemeinsame Harmonisierung der „Lautheit“ innerhalb des gesamten Programms ab dem 31. August 2012, dem ersten Tag der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin.