Wie Reis zu Kaviar wird

Kapitalismuskritik wird an diesem Wochenende groß geschrieben: Gestern der globale „Occupy“-Aktions- und Protesttag gegen die Auswüchse der Finanzwirtschaft und für einen grundlegenden „gesellschaftlichen Wandel“, heute ist Welternährungstag unter dem Motto „Nahrungsmittelpreise – von der Krise zur Stabilität“. Damit verbunden widmet sich dieses Jahr der weltweite „Blog Action Day“ dem generellen Thema „Nahrung“, und wie schon 2010 beim Thema „Wasser“ greife ich als Teilnehmer dieser Aktion einen Teilaspekt daraus auf.

Ackerbau Sudan
Karger Boden, manuelle Bewässerung: Privater Ackerbau im Sudan ist eine äußerst mühsame Arbeit ohne großen Ertrag. (Foto: USAID.gov@Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Inzwischen weiß jeder halbwegs Informierte, dass Buch- und Börsenwerte nur noch selten etwas mit realen Werten zu tun haben. Das galt 2007/2008 etwa für US-Immobilien und seit einigen Jahren auch für zahlreiche Rohstoffe – inklusive Agrarprodukte für die Nahrungsmittelindustrie. Ähnlich wie überschuldete Häuser werden auch Weizen, Reis, Soja etc. weniger real vermarktet, sondern eher in Derivate und Fonds-Pakete gepackt. Das Marktvolumen eines so gehandelten Produktes kann das Mehrfache der tatsächlichen Jahres-Welterzeugung erreichen.

Spekulationen auf zukünftige Preise (so genannte „Futures“) entfernen sich dabei immer mehr vom Niveau des aktuellen „Spot-Marktes“ (mit real erzielten Preisen) – ein starkes Indiz für eine völlige Abkopplung der Börsengeschäfte vom gehandelten Produkt. Dabei wären Warentermingeschäfte an sich nichts Schlechtes – gerade auch in der Agrarwirtschaft. Wer als Großbauer oder Genossenschaft schon im Frühjahr weiß, dass er eine festgelegte Menge Weizen zu einem bestimmten Preis verkaufen kann, hat Planungssicherheit. Umgekehrt können die Abnehmer mit diesem Preis ihre Weiterverarbeitungskette und letztendlich auch das Endprodukt langfristig durchkalkulkieren – ein unschätzbarer Vorteil.

Prinzipiell das Gleiche wie Roulette

Tatsächlich liefern heutzutage aber weder die Entwicklung der Nachfrage noch des Nahrungsangebots die alleinige Begründung für stark schwankende („volatile“) Preise. Im Detail können und müssen Sie das nicht unbedingt verstehen. Es genügt, wenn Sie wissen, wie Roulette im Casino funktioniert – das Prinzip ist das gleiche: Jemand glaubt, dass die Kugel auf eine bestimmte Zahl fällt und setzt seine Jetons darauf. Diese Zahl repräsentiert nun einen hohen Wert, obwohl sie in Wirklichkeit genau so wertlos oder wertvoll ist wie die anderen 36 Zahlen auf dem Tisch.

„Das ist nur was für Zocker“, sagen Sie? Von wegen. Sie sind wahrscheinlich bei diesem gewissenlosen Spiel dabei, ohne es zu wissen. Ihre Bank, Ihre private Lebensversicherung, Ihr Investmentfonds für Kleinanleger (etwa der Agrar-Rohstoff-Fonds „RCM Global Agriculture Trends-A“ der Allianz-Tochter PIMCO) investieren Ihre Einlagen unter anderem auf dem weltweiten Markt für Agrarprodukte. Und während etwa in Ostafrika direkt oder indirekt Hunderttausende an Unterernährung sterben, weil sich die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel seit 2004 nominal verdoppelt haben, dürfen Sie sich über gestiegene Renditen freuen.

Food Price Index
Die Entwicklung des nominalen und realen (inflationsbereinigten) Nahrungsrohstoff-Preisindex seit 1990 – ermittelt von der Welternährungsorganisation FOA.

Natürlich sind Sie keiner der wahren Profiteure dieser teuflischen Spekulation. Den größten Reibach machen die Banken, Fondsgesellschaften und Broker an den Warenterminbörsen – etwa in Chicago oder New York. Die verdienen nämlich auch, wenn sich das Portfolio ihrer Kunden negativ entwickelt – dank der Depot- und Handelsgebühren.

Gute Geschäfte verzeichnen bei steigenden Rohstoffpreisen auch die Nahrungsmittelkonzerne, wenn’s die Nachfrage hergibt. Üblicherweise werden dort die Gewinnspannen prozentual zu den Gesamtkosten kalkuliert; und wenn die Kosten steigen, dann wachsen auch die Gewinne in absoluten Zahlen – schön zu beobachten etwa bei Mineralölkonzernen oder bei den Großbäckereien. Dort macht das Mehl nur zwei bis vier Prozent der Kosten eines Brötchen aus, die gestiegenen Weizenpreise dienten aber schon mehrfach als willkommene Begründung für heftige Preiserhöhungen an der Theke.

Wir kommen noch relativ gut weg

Ungefähr das, was Ihr Agrar-Investmentfonds an höherer Rendite abwirft, müssen Sie als Verbraucher wiederum mehr für die Lebenshaltung ausgeben. Dabei geht’s Ihnen vor allem in Deutschland noch verhältnismäßig gut. Die Lebensmittelpreise sind bei uns im Schnitt bei Weitem nicht so stark gestiegen wie die Rohstoffpreise und im internationalen Vergleich sogar sehr günstig. Sie können sich in der Regel mehr Essen leisten als Sie zum Überleben brauchen und den Rest wegwerfen, während über eine Milliarde Menschen an Unterernährung leiden. Vor allem in Mittel- und Ostafrika ist der Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung schwindelerregend hoch – in Äthopien rund die Hälfte, in der „Demokratischen Republik Kongo“ sogar über 75 Prozent.

Unterernährung
Die Weltkarte der Unterernährung – je dunkler das Rot, desto größer der Anteil der Hungernden. (Grafik: Bundeszentrale für politische Bildung, Lizenz: CC by-nc-nd 3.0)

Das liegt zum Teil noch nicht einmal an ungünstigen klimatischen oder geologischen Verhältnissen. In vielen Ländern verschachern lokale Stammesfürsten oder die korrupte Regierung wertvolles Ackerland zu Dumpingpreisen an ausländische Investoren, die dort mit aufwendiger künstlicher Bewässerung Agrarprodukte wachsen lassen und in reiche Länder exportieren. Die Bevölkerung der durch „Landgrabbing“ vergewaltigten Region hat davon nichts. Im Gegenteil: Es bleibt nicht mehr genug der seltenen fruchtbaren Krume für die eigene Versorgung übrig. Hier gilt wie in anderen Branchen die kapitalistische Regel: „Wer viel hat, dem wird gegeben, wer wenig hat, dem wird’s genommen“.

Dass unsere Lebens- und Genussmittel nicht wesentlich teurer sind, liegt übrigens ebenfalls an dieser Systematik. Vieles, was früher Luxus war und höchstens am Sonntag auf dem Tisch kam, gehört inzwischen zum Alltag: Südfrüchte, Gemüse und Kaffee aus Großplantagen mit sklavenähnlicher Haltung der Arbeiter, Reis von Feldern geknechteter asiatischer Pseudo-Pächter, Garnelen aus Antibiotika-überfluteten südostasiatischen Zuchtfarmen, Lachs aus Farmen in Südamerika, die mit Chemie, Viren und Bakterien die Umwelt belasten.

Billiger Zucker statt teurer Zutaten

Nicht besser sieht es bei stark verarbeiteten „Lebensmitteln“ aus. Hier werden Gewinnspanne und relativ stabile Preise über sinkende Qualität realisiert. Statt teurer Agrarrohstoffe wandern billige Ersatz- und Füllstoffe in Fertiggerichte und Pizzas. Besonders beliebt ist dabei der Rübenzucker, dessen Markt in der Europäischen Union stark reguliert ist. Geschmackliche Defizite werden mit Aromastoffen ausgebügelt; die meisten Kunden futtern das kritiklos.

Dass schätzungsweise jährlich über 10 Millionen Menschen weltweit verhungern, verkommt angesichts des Profits eines anderen Teils der Menschheit zur überlesenen Randnotiz. Welchen Terminhändler juckt es denn, dass zum Beispiel Reis die Hauptnahrungsquelle für über die Hälfte der Erdbevölkerung darstellt? Es ist für ihn einfach nur eine Spekulationsware wie Kupfer oder Aluminium, mit der man Gewinne erzielen kann. Und die wachsen nicht auf dem Reisfeld, sondern auf dem Handelsparkett.

Reisfelder in Indonesien
Reis-Terrassenfelder auf der insel Java in Indonesien. (Foto:Jan-Pieter Nap@Wikimedia Commons, Lizenz: CC by-sa 1.0)

Chicago Board of Trade
Das virtuelle „Reisfeld“: Handelsraum der Terminbörse Chicago. (Foto: Jeremy Kemp@Wikimedia Commons, gemeinfrei)

So gelingt geschickten und gewissenlosen Investoren beispielsweise das Kunststück, zehn Tonnen virtuellen Reis per  „Future-Swap“ in ein Kilogramm echten Kaviar zu verwandeln – so hoch kann der Kursgewinn sein. Dagegen war selbst Jesus mit seinem „Wasser zu Wein“-Wunder höchstens Kreisklasse.

Ob die Politik etwas gegen dieses Unwesen tut? Eher nein. Es bleibt meist bei Absichtserklärungen und schönen Worten. Offenbar finden es zahlreiche „Volksvertreter“ nicht angebracht, gegen den Widerstand der starken Agrar- und Nahrungsmittelspekulanten-Lobby zu arbeiten und den Handel zu reglementieren. Das Motto der FAO für den heutigen Welternährungstag – „Nahrungsmittelpreise – von der Krise zur Stabilität“  – ist ein frommer Wunsch und eigentlich eine Umkehrung der chronologischen Realität: Das ursprünglich höchst sinnvolle und stabile System mit Termingeschäften real existierender Waren wurde ja inzwischen zum Krisen-Casino mit virtuellen Rohstoffen pervertiert, das regelmäßig nur von Nichtregierungsorganisation kritisiert und bekämpft wird.

Und was können Sie dagegen tun?

Hier liegt meines Erachtens auch eine der wenigen Chancen für intelligente Verbraucher, sich gegen die Verhältnisse zu wehren. Einzelne Boykottaufrufe wären wegen des sehr komplexen und umfassenden Geflechts von Märkten und Konzernen weder zielführend noch ausreichend. Informieren Sie sich stattdessen etwa bei Oxfam Deutschland e. V. oder der Hilfsorganisation Miserior über die Nahrungsmittel-Spekulation, bei „Business Crime Control“ über die kriminellen und korrupten Akteure dahinter und bei „Lobby Control“ über die Verflechtungen der Lebensmittelindustrie mit der Politik. Unterstützen Sie die Arbeit dieser und ähnlicher Organisationen und Vereine – etwa als Mitglied oder Spender, damit auch sie zu einer starken Lobby mit Einfluss auf Regierungen werden können.

Parallel dazu wäre es auch kein Fehler, regionale, lokale und saisonale Lebensmittel zu kaufen. Das ist sicher nicht für jeden so einfach wie für mich badisches „Landei“, das Kartoffeln, Gemüse, Eier oder Fleisch direkt von Bauern und Metzgern am Ort oder im Nachbardorf bekommen kann. Hier bietet ein Biobauer sogar einen Lieferservice an. Aber auch in der Großstadt werden Sie Händler finden, bei denen Sie die Herkunft der Produkte nachvollziehen können. Das ist übrigens nicht nur gut für das Gewissen, sondern auch für das Resultat Ihrer Kochkünste. Sie werden’s erleben: Das Essen schmeckt nicht nur besser, es ist auch gesünder und billiger als die stark verarbeiteten und chemisch „aufgehübschten“ Fertiggerichte der Industrie.

2 Gedanken zu „Wie Reis zu Kaviar wird

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