Wer kriegt hier bitte Schmerzensgeld? (Update 5.8.)

„Schmerzensgeld für einen Kindsmörder!“ – so oder ähnlich tönte es heute fälschlicherweise aus zahlreichen boulevardesken und sonstigen, teils als seriös geltenden Medien, in Foren, Kommentarspalten und Tweets. Anlass der Aufregung: Dem Strafgefangenen Magnus Gäfgen wurden vom Frankfurter Landgericht 3000 Euro vom Land Hessen zugesprochen, als Entschädigung für Gewaltandrohungen hessischer Polizisten bei seinem Verhör am 1. Oktober 2002. Seiner Forderung nach Schmerzensgeld wurde dagegen nicht entsprochen, weil er nach Auffassung des Gerichts nicht körperlich oder seelisch verletzt worden sei und auch keine Folgeschäden nachzuweisen seien.

Halten wir also fest: Gäfgen bekommt kein Schmerzensgeld, sondern eine Entschädigung. Und selbst wenn das Urteil Rechtskraft erlangt, wird er von diesem Geld auch nichts sehen, denn das Gericht brummte ihm vier Fünftel der rund 15.000 Euro Verfahrenskosten auf. Schließlich hat er ja den Prozess größtenteils verloren. Bleibt also statt eines Gewinns ein dickes Minus, das wiederum wegen Gäfgens Privatinsolvenz (seit 2006) nicht von ihm ausgeglichen werden muss.

Das alles scheint zahlreiche Journalisten und Kritiker des Urteils intellektuell zu überfordern – vom Opferverein „Weißer Ring“ über die üblichen Reflex-Draufklopper Wolfgang Bosbach (CDU) und Joachim Herrmann (CSU) bis hin zur Gewerkschaft der Polizei. Selbst einigermaßen ernstzunehmende Medien phantasierten von „3000 Euro Schmerzensgeld“ (Update 5.8.: Inzwischen hat die Handelsblatt-Online-Redaktion stillschweigend und ohne Aktualisierung des Zeitstempels durchgängig „Schmerzensgeld“ durch „Entschädigung“ ersetzt), obwohl es doch eigentlich nur darum geht, dass das Frankfurter Landgericht gar nicht anders konnte, als eine Entschädigung zuzusprechen – wenn auch weit geringer als von Gäfgen gefordert.

Ein rechtskräftig verurteilter Straftäter unterliegt nämlich bei uns zwar zum Teil einer Einschränkung seiner Grundrechte, nicht jedoch seiner Menschenrechte. Hier spielt es juristisch auch keine Rolle, ob der Betreffende Steuern hinterzogen oder ein Kind gequält und ermordet hat. Die bereits in einem anderen Verfahren im Dezember 2004 bewiesenen Folterandrohungen gegen Gäfgen waren eindeutig schwerwiegende Verletzungen seiner Menschenrechte. Damals wurden ein Vernehmungsbeamter und der Frankfurter Vize-Polizeichef Daschner auf Bewährung gegen Geldauflagen verurteilt.

Im aktuellen Verfahren sah das Frankfurter Landgericht mildernde Umstände für die Beamten, weil sie den von Gäfgen entführten Bankierssohn in höchster Lebensgefahr vermuteten und dessen Aufenthaltsort herausfinden wollten. „Das provozierende und skrupellose Aussageverhalten strapazierte die Nerven der Beteiligten aufs Äußerste. Dieser außerordentliche Druck darf ihnen zugute gehalten werden“, erklärte der Vorsitzende Richter Christoph Hefter. Im Verhör hatte Gäfgen letztendlich unter Folterandrohung gestanden, dass das Kind bereits tot sei und anschließend die Beamten zur Leiche geführt.

Schon damals kochte die Volksseele hoch, weil es vielen wohl angemessen erschien, das Leben eines Kindes durch Folter oder deren Androhung zu retten. Und jetzt regt sich der Stammtisch über dieses „perverse Urteil“ und jene unbegreiflichen „Menschenrechte“ auf („Pah, Menschenrechte! So einen Scheiß hatten wir unter Adolf auch nicht!“, „vor 70 Jahren hätte man solche Schweine vergast!„), die es tatsächlich gibt, und über ein „Schmerzensgeld“, das es tatsächlich nicht gibt. Sehr verdächtig ist dabei auch die Divergenz zwischen der URL dieses Bild-Online-Artikels und dem vermutlich nachträglich korrigierten Inhalt (siehe die dort unten kursiv gesetzte Klarstellung und den ursprünglichen Twitter-Teaser).

Die „Deutsche Welle“ schaffte es auf ihrer Website sogar, in Komplizenschaft von zwei Agenturen und einem Redakteur den Sachverhalt völlig umzudrehen: Danach habe das Gericht die Forderung nach Entschädigung abgewiesen, aber der nach Schmerzensgeld entsprochen. Aua! (Update 5.8.: Inzwischen wurde der Artikel kommentarlos und ohne Änderung der Quellenangaben korrigiert)

Vielleicht sollte das Volk mal Schmerzensgeld von den Medien fordern, die es mit Falschmeldungen verblöden. Ach nein, geht nicht – Dummheit tut ja leider nicht weh.