Weitgehend wehrlos gegen Bombenbastler

Man musste kein RAF-Terrorist sein, um schon Mitte der 1970er-Jahre als Jugendlicher ziemlich genau zu wissen, wie man eine Bombe baut. Ich habe es damals pikanterweise in einem katholischen Internat in Baden erfahren, als mir Mitschüler von ihren Experimenten mit „UnkrautEx„, Traubenzucker, Schwarzpulver und einem Rohr erzählten. Die hätten schwer ins Auge gehen können, endeten aber nur mit einem heftigen Knall in dem kleinen Gässchen zwischen dem Rastatter Krankenhaus und der Polizeidirektion …

Auch ohne Internet-Bauanleitungen war das Bombenbasteln also zwar ein enormes Risiko, aber niemals ein großes Problem – die nötigen Bestandteile waren meist legal und einfach zu besorgen. Das gilt auch für die „Düngemittel“-Autobomben, mit denen zum Beispiel 1993 der erste Anschlag auf das New Yorker World Trade Center verübt wurde (550 Kilogramm, Mischung aus Dünger und Diesel), 1995 ein Regierungsgebäude in Oklahoma City in Schutt und Asche gelegt wurde (2,4 Tonnen, Mischung aus Dünger und Nitromethan, entsprach in der Wirkung über 1000 Kilogramm TNT-Sprengstoff) oder am 22. Juli 2011 Teile der Osloer Innenstadt verwüstet wurden (ca. 950 Kilo, Mischung aus Dünger, Diesel, Aluminiumpulver und weiteren Chemikalien, rund 400 Kilogramm TNT-Äquivalent).

Oklahoma City 1995
Oslo 2011? Nein. Oklahoma City 1995 – ebenfalls mit einer „Dünger“-Autobombe verursacht. (Foto: Staff Sergeant Preston Chasteen@Wikimedia Commons, Public Domain)

Die zerstörerische Reichweite solcher „Amateur“-Bomben ist durch die – etwa im Vergleich zu TNT – recht langsame Detonationsgeschwindigkeit (rund 3 Kilometer/Sekunde) und die langwellige Ausbreitung des Explosionsdrucks enorm. Sie können unauffällig mit einem Kleintransporter oder Kombi an den Einsatzort gebracht und dort auch aus der Ferne gezündet werden. Es muss also kein Selbstmordkommando sein und Komplizen sind ebenfalls nicht unbedingt notwendig.

Der mutmaßliche Attentäter von Oslo hatte unter anderem sechs Tonnen Kunstdünger mit Ammoniumnitrat für seinen kleinen, zur Tarnung errichteten Agrarbetrieb gekauft – keine unüblich große Menge. Dazu bestellte er im Dezember 2010 in Polen noch 300 Gramm Natriumnitrat für umgerechnet 15 Euro, was ihn zwar kurzzeitig ins Visier des norwegischen Geheimdienstes brachte, aber letztendlich harmlos erschien, weil man dieses Salz häufig zum Pökeln von Fleisch verwendet. Über einen Umweg über Großbritannien besorgte er sich zudem 150 Kilogramm Aluminium, das er selbst zu Pulver zerrieb. Damit und mit den bereits vorhandenen Bestandteilen einer ANFO-Bombe konnte er ein Gemisch (ANALFO) zubereiten, das vor allem durch erheblich größere Hitzeentwicklung noch mehr Zerstörungskraft und tödliche Wirkung auf Passanten entwickelt als reine „Düngemittel“-Bomben.

Viele können es nicht fassen, dass dieser über viele Jahre geplante Bombenbau und der Anschlag tatsächlich so problemlos gelangen. So schreibt ein gewisser „Roman Golunski“ in seinem Kommentar zu einem Tagesschau-Blogbeitrag unter anderem:

Spätestens nach dem 11. September und den Sauerland-Bombern müssten bei allen europäischen Kriminalbehörden die Warnlampen angehen, wenn ein Waffenträger mehrere Tonnen Kunstdünger bestellt. HALLO? Pennen die Behörden? Wieso ist es nicht möglich einige eklatante Verhaltensauffälligkeiten zu addieren und ein Täterpotential zu erstellen? In Norwegen werden Stromzähler von Häusern aus steuerlichen Gründen kontrolliert, aber ein potentiell erkennbarer Täter aus dem Kreis der Waffenfetischisten kann plötzlich mit einer Riesenbombe vor die Regierung fahren und danach auf eine Insel.

Fatalerweise stimmen hier einige Prämissen nicht. Jährlich werden weltweit rund 150 Millionen Tonnen Kunstdünger gekauft, sechs Tonnen für einen Betrieb stellen dabei keine ungewöhnliche Menge dar. Mit Sicherheit sind zahlreiche Kunstdüngerkäufer (z. B. Landwirte) auch Mitglieder in einem Schützenverein, Reservisten oder sonstige legale Waffenbesitzer. Allein in Norwegen (5 Millionen Einwohner) sind 1,2 Millionen private Waffen registriert, dazu 50.000 Schnellfeuergewehre der „Heimwehr“-Mitglieder. Falls also bei europäischen Behörden „Warnlampen angehen“ müssten, „wenn ein Waffenträger mehrere Tonnen Kunstdünger bestellt“, dann wären diese Lampen auf Dauerbetrieb und tausende Ermittler müssten täglich zu den Agrarbetrieben und Genossenschaften ausschwärmen. Kaum anzunehmen, dass sie dort tatsächlich „potentiell erkennbare Täter“ finden würden.

Die „Sauerland-Bomber“ bauten noch nicht einmal eine „Düngemittel“-Bombe; sie verwendeten das Bleich- und Desinfektionsmittel Wasserstoffperoxid und wären also unter der Dünger-Prämisse ebenfalls nicht auffällig geworden.

Auch im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Oslo gab es keine „eklatanten Verhaltensauffälligkeiten“ und somit kein „Pennen der Behörden“. Im Gegenteil: Der Mann bemühte sich, möglichst unauffällig und gesetzestreu zu bleiben, um nicht ins Radar der Justiz zu kommen. Und dass jemand „mit einer Riesenbombe vor die Regierung fahren“ kann, liegt schlicht daran, dass die Norweger eine „offene Gesellschaft“ sein wollen und deshalb auch keine Barrikaden oder Sperr-Poller in der Osloer Innenstadt installiert haben. Wobei es eigentlich auch keine große Rolle spielt, denn ein potenzieller Terrorist könnte in fast jeder beliebigen Großstadt sein bombenbestücktes Auto an einem belebten Platz abstellen und fernzünden – es muss ja nicht das Regierungsviertel sein.

Die Krux ist leider, dass ein solches Attentat realistisch nicht zu verhindern ist – nicht einmal in einer Diktatur, schon gar nicht in einer Demokratie, in der ein Mindestmaß an Freiheit und Bürgerrechten gilt. Hier gibt es nur wenige Stellschrauben, das Risiko von verheerenden Bombenbasteleien zu minimieren. In Deutschland etwa regelt das Sprengstoffgesetz, dass Ammoniumnitrat in Düngemitteln nur noch unter Beimischung von harmlosen Stoffen wie Kalk verkauft werden darf. Das norwegische Beispiel zeigt jedoch, dass die offenen Märkte einer globalisierten Wirtschaft genug Schlupflöcher für das Umgehen solcher Beschränkungen ermöglichen.

Letztendlich bleibt es dem Zufall oder dem Geschick der Ermittlungsbehörden überlassen, ob ein geplanter Terroranschlag – wie bei der Sauerland-Gruppe 2007 – schon im Vorfeld durchkreuzt werden kann. Diese Erkenntnis trägt zwar nicht zum Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bei, ist aber die bittere Wahrheit.

3 Gedanken zu „Weitgehend wehrlos gegen Bombenbastler

  1. Ja, dieser Kommentar des „Roman Golunski“ war mir auch schon aufgefallen. Und wie ich schon twitterte, wenn man so will, wären alle Landwirte, die in die Kirche gehen, im Schützenverein sind und eventuell Sarrazin gut finden, unter Beobachtung zu stellen.

  2. Interessant. Ich konnte angesichts der verheerenden Zerstörung in Oslo nicht glauben, dass das von einer einzigen Autobombe angerichtet sein sollte..

    Bei dieser Art Bomben ist also das Know-how der kritische Faktor, die Zutaten sind offenbar leicht zu beschaffen.

    Bei Atombomben ist das umgekehrt. Da wird die Verbreitung der angereicherten Spaltstoffe überwacht. Aber die Konstruktionspläne für die Hiroshimabombe wurde z.B. in unserer Werkstoffkundevorlesung verteilt. Da waren wir doch platt. Aber das war vor der Zeit dieses neuen Terrorismus.

  3. @Frank: Auch das nötige Know-how ist überschaubar und ohne Studium zu meistern. Die Mischungsvorgänge und der Zusammenbau bergen dagegen noch ein gewisses Potenzial für einen lautstarken Abschied des Bastlers vom Diesseits.

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