Schlechter Verlierer

Sie dürfen sich Martin Herrenknecht zur Zeit nicht als zufriedenen Menschen vorstellen. Zwar kann der badische Unternehmer und dreifache Vater nächsten Monat seinen 69. Geburtstag feiern, er herrscht als Vorstandsvorsitzender der Herrenknecht AG über den Weltmarktführer bei maschineller Tunnelvortriebstechnik mit einem Jahresumsatz von 935 Millionen Euro und rund 3.300 Mitarbeitern in Baden und im Rest der Welt, ist Träger verschiedener Ehrenabzeichen wie dem Bundesverdienstkreuz am Bande sowie der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg – und er ist Ehrenbürger seines Wohn- und Firmenortes Schwanau-Allmannsweier.

Und immer, wenn im SWR-Verkehrsservice im Radio die Rede ist von einem „überbreiten Schwertransport auf der B 36 zwischen Allmannsweier und Kehl, den Sie nicht überholen können“, dann jubelt fast jeder Südbadener: „Die Wirtschaft brummt, jetzt wird wieder eine Riesen-Tunnelbohrmaschine vom Herrenknecht ausgeliefert!“

Aber nun hat die neue grün-rote Landesregierung in Stuttgart die Geschäfte übernommen; ein unvorstellbarer Affront für den in der Wolle gefärbten konservativen Wirtschaftsliberalen Herrenknecht („Wer in meiner Firma Grün wählt, fliegt ’raus!“). Kaum einer seiner CDU-Parteifreunde hat wohl so unter dem Machtwechsel gelitten wie er – möglicherweise fühlt sich der Unternehmer sogar persönlich noch tiefer getroffen als Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus. Nicht anders ist es zu erklären, dass Martin Herrenknecht schon zum wiederholten Mal seiner Gemeinde, seiner Region und seinem Bundesland mit Liebes- und Steuerentzug droht.

Martin Herrenknecht
Martin Herrenknecht am 18. Mai im Interview mit der SWR-Landesschau (Screenshot, den ganzen Beitrag gibt’s dort)

Dabei ist es vor allem ein Thema, das ihn umtreibt: Der Protest seiner politischen und menschlichen Widersacher gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ – vor allem der grünen „Fortschritts- und Wirtschaftsfeinde“, Ausgeburte einer üblen Parallelwelt, die ihm immer fremd bleiben wird.

Falls die Tieferlegung der Bahnhofsanlagen und Gleise tatsächlich – aus welchen Gründen auch immer – abgeblasen würde, dann könnte die Herrenknecht AG dort auch nicht ihre Tunnelbohrmaschinen rotieren lassen. Bevor die Bahn AG den Fortgang der Arbeiten stoppte, war eigentlich schon die Vertragsunterzeichnung über den Bau des Tunnels zwischen Innenstadt und Stuttgarter Flughafen vorgesehen. Neun Kilometer, 45 Millionen Euro Auftragsvolumen – beileibe kein „Hafekäs„.

Herrenknechts Waffe gegen solche Damoklesschwerter ist immer wieder die gleiche: Die Drohung mit der Verlegung des ganzen Betriebs oder Teilen davon aus dem Stammsitz ins Ausland oder in ein anderes Bundesland. Immerhin sind allein in Schwanau-Allmannsweier rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, die gesamte Ortenau zwischen Lahr und Kehl prosperiert dank der unstreitigen Erfolge des Unternehmers.

Seine provokante These am 18. Mai in einem Beitrag der SWR-Landesschau: „Wenn ich im eigenen Land Baden-Württemberg keine Maschinen mehr liefern kann, dann bin ich doch blöd, wenn ich hier noch bleibe, 40 Millionen Euro Steuern zahle. Ich meine, die Mitarbeiter bleiben ja alle hier, aber die Holding kann ich durchaus nach München verlegen und dann einen Teil von meinen Steuern in Bayern abliefern.“

Bevor sich allerdings der dortige Ministerpräsident Seehofer schon über einen neuen Goldesel freut und in Baden die Tristesse ausbricht: Der weitaus größte Teil der Steuerzahlungen fällt nicht am Sitz der AG-Holding, sondern am Ort der Wertschöpfung an – der Produktion in Schwanau, die so schnell nicht verlagert werden kann. Mit ein paar Tricks könnte es Herrenknecht theoretisch eventuell schaffen, bis zu rund zehn Prozent der Steuerlast zu verlagern. Dann blieben aber immer noch etwa 36 Millionen Euro in Baden-Württemberg.

Einiges spricht allerdings selbst gegen diese theoretischen Sandkastenspiele: Herrenknechts Drohungen blieben bisher folgenlos. Chef des Aufsichtsrates der AG ist der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, der nie als bayerischer Wirtschaftsförderer aufgefallen ist. Das Unternehmen müsste in der Region einen herben Imageverlust verkraften. Herrenknecht braucht noch etwas Zeit, um zu lernen, dass man seinen Heimatort nicht „Almannsweier“ schreibt. Und schließlich ist es kaum vorstellbar, dass der Vorstandsvorsitzende wesentliche Teile der Verwaltung oder des operativen Geschäfts weitab seines Wohnsitzes ansiedelt.

Kurioserweise hat Martin Herrenknecht tatsächlich gerade eine Firma verlegt, aber nur ins wenige Kilometer entfernte Rust (kennen Sie vom „Europa-Park“): Die „Dr. Martin Herrenknecht Verwaltungs GmbH“, die sich um das private Vermögen des Hauptgesellschafters kümmert. Diese lokal begrenzte Volte hat nichts mit dem Tunnelbohrmaschinen-Geschäft zu tun, beschert aber dem Unternehmer einen offenbar unwiderstehlichen Vorteil: Der Gewerbesteuer-Hebesatz (mit dem der Steuermessbetrag multipliziert wird) liegt in Schwanau bei 330 v. H., in Rust dagegen nur bei 300 v. H..

Umgerechnet würde das bei einem jährlichen Gewerbeertrag von einer Million Euro (nur als Beispiel, kein Bezug zur Realität) bedeuten, dass Herrenknecht in Schwanau 115.500 Euro Gewerbesteuer bezahlen müsste. Rust gäbe sich dagegen mit 105.000 Euro zufrieden; eine Ersparnis von gerade mal 10.500 Euro pro Jahr. Der Schwanauer Bürgermeister Wolfgang Brucker zeigt jedenfalls wegen der Umsiedlung der Verwaltungs-GmbH keine Anzeichen von Panik: „Da geht es um ein paar Aktenordner; den Verlust an Gewerbesteuer können wir verschmerzen. Es erschüttert uns nicht fundamental.“

Für „fundamentale Erschütterungen“ waren bisher vorwiegend Herrenknechts Tunnelbohrer bekannt und nicht der Gutsherr selbst. Vermutlich gilt das trotz seiner lauten Drohungen auch in Zukunft.