PlayStation-Network: Konten sind nicht gleich Kunden

Ich hätte es bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten, dass das PlayStation-Network (PSN) mal zum „Aufmacher“ in der 20 Uhr-„Tagesschau“ im Ersten werden könnte – meist hält man ja seine privaten Obsessionen nicht für Mainstream-tauglich. Der große Datenklau war jedoch wichtig genug, um damit die Sendung (und auch vorherige „Tagesschau“-Ausgaben) gestern zu beginnen. Dafür, dass die ARD-Aktuell-Redaktion in Hamburg vermutlich nicht ständig mit der PlayStation daddelt, war der Beitrag erstaunlich wahrheitsgetreu und ausgewogen.

Leider kann man das von zahlreichen Medien der „Qualitätspresse“ nicht behaupten. Beliebtester Fehler in der Berichterstattung: Das Durcheinanderwürfeln von Netzwerk-Kunden und –Konten. Sony hatte erklärt, dass vom 17. bis 19. April Daten in noch unbekanntem Umfang aus allen rund 77 Millionen PSN– und Qriocity-Konten weltweit ausgespäht worden sein könnten. Über die Zahl der betroffenen Benutzer konnte das Unternehmen keine genauen Angaben machen, was viele Journalisten und Schlagzeilendichter nicht daran hinderte, von „77 Millionen Kunden“ zu phantasieren.

Liebe Kollegen, nur mal ein Beispiel: Als mutmaßlich Betroffener habe ich insgesamt drei PSN-Konten – jeweils eins im deutschen, japanischen und US-PSN. Das liegt bei mir hauptsächlich daran, dass verschiedene Demos, Spiele und -Inhalte häufig nicht in allen PSN-Länderversionen gleichzeitig verfügbar sind oder überhaupt angeboten werden. Andere Kunden nutzen mehrere Konten, um Spielgegenstände hin- und herzuschieben (etwa Autos im Rennspiel Gran Turismo 5) oder mit verschiedenen Spielständen zu operieren. Es soll sogar böse Buben geben, die mit ihren Konten diverse Cheats realisieren (hier werden aber in der Regel nur virtuelle Fahrzeuge oder Spielfiguren „geklaut“ und keine persönlichen Daten).

Wie viele PlayStation-Besitzer solche Mehrfach-Accounts nutzen, ist selbst für Sony nicht feststellbar, weil die Nutzernamen und E-Mail-Adressen der Zweit- und Drittkonten nicht mit denen des Erstkontos übereinstimmen. Die Postadressen sind häufig sogar frei erfunden oder Adresslisten und Online-Telefoneinträgen des jeweiligen Landes entnommen. Ein großer Teil der möglicherweise ausgespähten Daten ist also für die Hacker völlig wertlos. Eine einzige PS3-Konsole kann problemlos auf Dutzenden Accounts angemeldet werden; das wird auch gerne genutzt, um jedem spielenden Familienmitglied eine eigene Anmeldung mit den persönlichen Spielständen, Trophäen, Online-Einstellungen und Community-Nachrichten zu erlauben.

Wenn also zum Beispiel ich mit meinen drei PSN-Konten der statistische Durchschnitt wäre, dann hätten wir knapp 26 Millionen betroffene Einzelpersonen, sprich Kunden. Das wäre immer noch eine sensationell hohe Zahl, mit der man schöne Schlagzeilen machen könnte. Wahr wäre sie deshalb noch lange nicht, sondern reine Spekulation; aber von solchen lästigen Einwänden lässt sich unsere meinungsstarke „Qualitätspresse“ leider nicht beeindrucken.