Die skrupellosen Trittbrettfahrer

Natürlich hat jede Krise, jede Katastrophe und jeder Bürgerkrieg auch Gewinner – TV-Nachrichtensender zum Beispiel, die sich über „explodierende“ Quoten freuen, Fluggesellschaften, die Wucherpreise für Flüge aus gefährdeten Gebieten verlangen, die Hersteller von Räummaschinen, Rettungsgeräten und Waffen; darüber kann man sich zwar ärgern, die Kausalitäten aber nicht ändern.

Es gibt aber auch Katastrophen- und Kriegs-Trittbrettfahrer in Teilen der Medienlandschaft, wo man sie nicht unbedingt vermutet: So verschickte die Marketingabteilung der Wochenzeitung „Die Zeit“ am vergangenen Montag E-Mails mit einer „Blitzumfrage zur Atomkatastrophe“ in Japan, die aber – wie bei allen Pseudo-Umfragen der Verlage – nur der Gewinnung von neuen Abonnenten dienen sollte. Immerhin stoppte der Verlag bereits am Dienstag die geschmacklose Werbeaktion mit der Begründung: „Die Tonalität der Umfrage in dieser Woche ist in der Tat sehr unsensibel gewählt.“

Anderen Zeitgenossen sind die Ereignisse in Japan und Nordafrika ein willkommener Anlass für verkappten Link-Spam. Zahlreiche Fantasie-Accounts auf Twitter (mit geklauten Profilbildern) haben sich derzeit darauf eingeschossen, mehr oder weniger sinnlose Tweets über Japan, Atomkraft oder Libyen zu schreiben, die häufig mit @-Erwähnungen anderer Nutzer als (zusammenhanglose) Antworten auf andere Tweets getarnt sind und die unregelmäßig mit Links auf Amazon-Affiliate-Seiten verweisen (die natürlich nichts mit Japan, Atomkraft oder Libyen zu tun haben).

So erhielt zum Beispiel der FDP-Kreisverband Ravensburg diesen „Antwort“-Tweet von „„…

@ n-tv „Paris: Luftangriff in wenigen Stunden möglich“.

… und fragt sich vermutlich immer noch, auf welchen eigenen Tweet sich das beziehen soll. Oder Mario Sixtus wunderte sich möglicherweise ein paar Sekunden lang über diese „Nachricht“ von „„:

@ Enthaltung ist keine Haltung sagte vor kurzem ein von mir geschätzter Vorsitzender. RUS & China sind

Tweets dieser Art gibt es seit knapp einer Woche, inzwischen zu Tausenden, und die entsprechenden Twitter-Accounts haben erstaunlicherweise sogar teils mehrere Dutzend Follower. Damit die Tarnung nicht gleich auffliegt, finden sich die Amazon-Links auch nicht in jeder Nachricht, sondern verstreut in durchschnittlich etwa jeder vierten oder fünften.

Die entsprechenden Konten können Twitter-User zwar als „Spam“ melden und blockieren, bisher wurde aber kein von mir gemeldeter tatsächlich gesperrt. Allerdings hätte das auch kaum Wirkung, denn neue Accounts können in Sekundenschnelle generiert werden. Der finanzielle Nutzen dieser Aktion liegt darin, dass bei einem Klick auf die Links Amazon-PartnerNet-Parameter übermittelt werden, die dem „Vermittler“ bei jeder Bestellung rund 5 Prozent Provision bescheren. Das jeweilige Cookie ist allerdings nur 24 Stunden lang gültig, dann muss ein neuer Link gebastelt werden.

Besonders viel Mühe mit den Inhalten müssen sich die Account-Inhaber nicht machen; sie nehmen offenbar automatisiert (per Bot) die Tweets aus anderen Twitter-Konten und ergänzen Sie bei Bedarf. So landeten zahlreiche meiner Tweets plötzlich auf anderen Accounts, zum Beispiel war einer aus den letzten Tagen heute bei „ zu lesen – und zwar nicht als Retweet, sondern als vermeintlich eigene Schöpfung:

Bin heute wieder Over- und Off-Voice bei Journal um 12.45 und 19 Uhr.

Das ist heute natürlich Blödsinn, denn erstens gibt es am Wochenende keine Mittagsausgabe des Arte-Journals und zweitens habe ich heute Abend frei. Aber auf solche Details kommt es bei dieser Art des „viralen Marketings“ auch nicht an – es geht ja nur um Traffic-Lenkung auf die Amazon-Seiten mit Hilfe von thematischen „Zugpferden“ wie Tsunami, Fukushima, Atomkraft oder Libyen.

Da kann es allerdings schon mal passieren, dass die Spam-Bots auch Tweets plagiieren, die vor eben diesen Spammern warnen. So schrieb etwa ein gewisser am 17. März:

TerryPember9269 AMAZON SPAM #s21 #AKW unbedingt spamblocken

Dem ist nichts hinzuzufügen.