Falsche Maßschuhe: Betrugsverfahren wird eingestellt

Meine Vermutungen zur Verwicklung eines Baden-Badener Kommunalpolitikers und Spezial-Schuhmachers in ein Verfahren wegen „gewerbsmäßigen Betrugs“ haben sich im Kern bewahrheitet, aber leider in einer Richtung, an die ich erst in zweiter Linie denken wollte.

Wie ich heute aus Justizkreisen erfahren habe, wurde im Oktober vor dem Amtsgericht Baden-Baden ein Verfahren gegen einen 49jährigen Schuhmacher eröffnet, weil er nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft in über 50 Fällen Konfektions-Markenschuhe durch einfaches Entfernen des Logos zu „orthopädischen Maßschuhen“ umdeklariert haben soll. Der entstandene Schaden wurde mit rund 100.000 Euro beziffert. Es gab jedoch noch keinen Verhandlungstermin und es wird auch keinen mehr geben: Das Verfahren wird wegen Todes des Beschuldigten eingestellt, sobald dem Gericht der offizielle Totenschein vorliegt.

Zur Erinnerung: Am 2. November stürzte in Polen nahe der Grenze zu Deutschland ein Privatflugzeug ab, der 49jährige Pilot und seine Frau – Hubert und Ruth Gassenschmidt – kamen dabei ums Leben. Bis jetzt gibt es noch keine konkreten Erkenntnisse zur Absturzursache. Die zuständige polnische Staatsanwaltschaft hat die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) mit den Ermittlungen beauftragt; diese können noch bis Ende des Jahres dauern. Die sterblichen Überreste waren bis zum Wochenende noch nicht zur Bestattung freigegeben.

Nach dem Absturz wurde in den Medien berichtet, Gassenschmidt habe sich in den letzten Wochen mehrfach massiv bedroht gefühlt. Möglicherweise gab es hier einen Zusammenhang mit dem Betrugsfahren, wobei offen blieb, woher die Bedrohungen genau kamen: Von Konkurrenten oder eventuell sogar von geprellten Kunden? Beides erschien und erscheint mir auch heute noch als wenig wahrscheinlich. Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden nahm jedenfalls keine Ermittlungen dazu auf.

Da ich bisher – im Gegensatz zu einem kleinen eingeweihten Kreis in der Kurstadt – nicht wusste, dass angesichts der Umstände eigentlich nur Gassenschmidt selbst der Beschuldigte im Betrugsverfahren sein konnte, war ich primär von einem anderen Szenario ausgegangen: Der Schuhmacher könnte die Ermittler über einen betrügerischen Konkurrenten informiert haben und anschließend von diesem ins Visier genommen worden sein. Diese Vermutung kam mir wahrscheinlicher vor, war aber offenkundig falsch.

Stattdessen befanden sich die nun Verstorbenen wohl schon längere Zeit in einer schwierigen privaten und geschäftlichen Situation, wie entsprechende Bemerkungen des Baden-Badener Oberbürgermeisters Wolfgang Gerstner bei der Trauerfeier für das Ehepaar am 12. November nahelegen: Gassenschmidt habe neue Ziele im Auge gehabt und „sah einen Silberstreif am Horizont für sich und seine Familie“. Außerdem sei in den nächsten Tagen „eine Operation geplant gewesen“ (zitiert vom Badischen Tagblatt am 13. November).

Ebenfalls am 12. November teilte mir die Staatsanwaltschaft Baden-Baden mit, dass sie wegen eventueller Verletzung der Persönlichkeitsrechte keine Auskünfte zu einem möglichen Verfahren gegen Gassenschmidt geben wolle, weil er keine „Person der Zeitgeschichte“ sei. Bereits da lag die Vermutung nahe, dass es der Staatsanwaltschaft wohl umgekehrt problemlos möglich gewesen wäre, Gassenschmidt offiziell als Beschuldigten auszuschließen, wenn er es tatsächlich nicht gewesen wäre.

Einen weiteren Hinweis erhielt ich bereits am 11. November von einem anonymen Kommentator in meinem Blog: „würde die Sache auch einmal von einer anderen Seite betrachten!“ Nun ist mir klar, welche Seite hier gemeint war und sie gefällt mir nicht. Die Hinterbliebenen – darunter die drei jugendlichen Kinder des Ehepaares – müssen derzeit neben dem Verlust ihrer Eltern auch die Ungewissheit über die Umstände des Todes (und die eventuelle Bedrohungslage davor) verkraften und mit dem Stigma leben, dass ihr Vater möglicherweise ein Betrüger war. Letzteres wird juristisch nicht mehr geklärt werden.