GT5: The real „driving me mad“-Simulator (Update 12.11.)

Es ist wahrscheinlich nicht ganz einfach, einem normalen, vernunftbegabten Menschen zu erklären, warum ein Herr in schon etwas fortgeschrittenem Alter öfter mal mit einem Controller in der Hand vor dem TV-Gerät hockt und eine Playstation-Spielkonsole heißlaufen lässt. Ich versuch’s trotzdem.

Gran Turismo
Auch gesetzte Herren im Anzug spielen gerne mal „Gran Turismo“ (Foto: Rico Shen@Wikimedia Commons, Lizenz CC-by-sa 3.0)

Vor gut zwölf Jahren war eine neue Rennsimulation namens Gran Turismo (Claim: „The real driving simulator“) der ausschlaggebende Grund, warum ich mir die erste PlayStation-Version gekauft habe. Damals habe ich mich im wahren Leben häufig mit einem nach und nach reichlich modifizierten Honda NSX auf diversen Rennstrecken in Westeuropa herumgetrieben; ein teures und schönes Hobby, das aber nur etwa von Mitte März bis Anfang November Saison hatte. Umso dankbarer war ich über ein Rennspiel, mit dem ich auch im Winter unter anderem mit einem virtuellen NSX über diverse reale und Phantasie-Rennstrecken rasen konnte.

Zugegeben: Die Simulation war immer ein nur unvollkommenes Abbild der Realität und Gran Turismo hat leider bis heute keine der Rennstrecken im Angebot, die ich tatsächlich schon mit dem eigenen Auto befahren habe. Aber die Fahrphysik kam der Realität schon recht nahe und die zahlreichen Abflüge und Zusammenstöße hatten keinerlei finanzielle Folgen – noch nicht mal optische, denn ein Schadensmodell gibt es bis dato nicht im Spiel.

So etwa im Abstand von zwei bis drei Jahren (immer deutlich später als angekündigt) brachte das Sony-Spiele-Entwicklungsstudio Polyphony Digital neue Gran-Turismo-Versionen heraus, dazwischen einige höchst magere Concept– oder Prologue-Versionen, ab 2001 für die Playstation 2, ab 2007 für die PS 3. Und jedes Mal griff ich begeistert zu, denn das Spiel näherte sich weiter dem realen Fahrerlebnis und bot immer mehr Details, Strecken, Rennveranstaltungen, Fahrzeuge und Modifikationsmöglichkeiten. Inzwischen ist es zu einem regelrechten Koloss und Monolithen unter den Rennspielen geworden, auch wenn es ab und zu mal kleinere Bugs gab und verschiedene Veranstaltungen und Fahrzeuge nur durch das Absolvieren vieler absurder und nervenraubender „Lizenzprüfungen“ freigeschaltet werden konnten.

Die vorerst letzte Vollversion namens Gran Turismo 4 kam bereits 2005 heraus, seither musste sich die Gemeinde mit den Mini-Ausgaben HD Concept (2006/2007) und Gran Turismo 5: Prologue (2007/2008) als Surrogat zufrieden geben. Die konnte man als „Profi“ problemlos in einer Woche durchspielen, während einen die Vollversionen über mehrere Monate vom regelmäßigen Essen, Arbeiten, Fernsehgucken, Internet-Surfen etc. abgehalten hatten.

Aber wo ein „Vorspiel“ (Prologue) ist, da muss es doch bald eine große Oper namens Gran Turismo 5 geben. Das war jedenfalls die Hoffnung vor dem Weihnachtsgeschäft 2008 (vergeblich), vor Weihnachten 2009 (Veröffentlichung erst geplant, dann verschoben), im Frühjahr 2010 (von der weltweiten Gerüchteküche heiß gekocht, aber dann doch nicht serviert) und zuletzt in diesem Herbst, als Sony definitiv von den ersten Novembertagen sprach.

Freudestrahlend teilte ich dies der Liebsten aller Schönen mit, die schon seit 1998 weiß, dass ich nach dem Erscheinen einer neuen GT-Version kaum noch für normale Kommunikation zu haben bin. Ihre Reaktion: „Glaub’s nicht, das wird sicher wieder verschoben. War doch auch schon die letzten Jahre so.“ Jaja, typisch weibliche Logik, diesmal ist es doch ein fester Termin und bei Amazon kann man das Spiel auch schon bestellen.

Pustekuchen: Gestern abend kam die Sony-Mitteilung, dass man leider erneut nicht den Termin halten könne, aber sicher noch vor dem Weihnachtsgeschäft fertig werde. Gran-Turismo-Chefentwickler Kazunori Yamauchi schob auf seinem Twitter-Account die Erklärung nach:

Entschuldigt die Verspätung. Die Verschiebung ist nötig, weil Zeit und Arbeit für das Ausbügeln von Bugs in dem komplexen System nötig war. Es tut mir wirklich Leid. An alle, es ist unentschuldbar… Habt bitte ein wenig Geduld.

Kazunori Yamauchi genießt bei den Gran-Turismo-Fans Kultstatus – vergleichbar mit dem Papst bei den Katholiken. Das liegt unter anderem daran, dass er mit unglaublicher Akribie versucht, reale Fahrzeuge und Rennen in die Scheinwelt seiner Spiele umzusetzen. Weil aber Spiele- und Fahrzeugtechnik während der Entwicklungszeit eines Spiels rasant voranschreiten, hinkt er mit seinem Streben nach Perfektion (ein japanischer Sport namens Kaizen) ständig hinter dem eigenen Anspruch her und kann nie „fertig“ werden. Aktuell ist auf der offiziellen Webseite zum Beispiel von über 1000 Fahrzeugen die Rede, darunter zahlreiche „Premium“-Modelle, bei denen auch der Innenraum detailgetreu nachmodelliert wurde (selbstverständlich in voller HD-Auflösung).

Sogar ein Schadensmodell und eine 3D-Unterstützung (für die die PS 3 ohnehin mit einem Firmware-Update vorbereitet wurde) sollen diesmal implementiert sein und natürlich wurden die Motor- und Fahrgeräusche aller Fahrzeuge in der Realität mit High-End-Audio-Ausrüstung aufgenommen und digitalisiert. Yamauchi scheucht außerdem höchstselbst Sport- und Rennwagen über die Rennstrecken (zum Beispiel die Nürburgring-Nordschleife), um reales und virtuelles Fahrverhalten abzugleichen. Zahlreiche Location-Scouts und –Manager sind dazu vor Ort auf fast allen Erdteilen für die Detailtreue der jeweiligen Spiel-Strecken und ihrer Umgebung zuständig. Schließlich wurden im Lauf der Zeit auch Rennsportarten wie Rallye, Le-Mans-Langstreckenrennen oder die NASCAR-Serie integriert; eine schier unüberschaubare Daten-Fülle.

Das alles muss auf voraussichtlich zwei Blu-ray-Discs gepackt werden mit einer Gesamtkapazität von über 130 Gigabyte und dann auch noch beim Kunden ohne Hänger und Aussetzer funktionieren; inklusive der Online-Anbindungen über das Playstation-Network. Bereits vor einem Jahr war von rund 60 Millionen US-Dollar Produktionskosten die Rede, dafür könnte man schon einen ganz ordentlichen Hollywood-Film drehen. Der Begriff „Mammutaufgabe“ dürfte da noch stark untertrieben sein und so kann sich ein „Vorspiel“ schon mal über fast drei Jahre hinziehen (don’t try this at home!).

Und wir ungeduldigen Speed-Freaks warten und warten und vertreiben uns die Zeit mit allem möglichen Unsinn – seltsame Blogeinträge schreiben zum Beispiel, Drift-Punkte sammeln bei der Online-Hitparade von Gran Turismo 5: Prologue (wo ich inzwischen in diversen Disziplinen jeweils unter den ersten 50 weltweit bin) oder auf der Autobahn „rasender Rentner“ spielen (nein, das war jemand anders). Noch zwei Monate und zehn Tage bis Weihnachten…

Update 12.11.: Heute hat Sony offiziell mitgeteilt, dass das Spiel nun endgültig am 24. November erscheinen soll – also in zwölf Tagen. Wollen wir das mal glauben?