3D-TV: Teures Förmchen ohne Inhalt

Räumliches Fernsehen soll jetzt unsere Wohnzimmer erobern, nachdem das dreidimensionale Seherlebnis schon in einigen Kinos für Begeisterung gesorgt hat – speziell beim Blockbuster „Avatar„. Mindestens 40.000 3D-TV-Geräte sollen bisher schon in Deutschland verkauft worden sein, bis zum Jahresende erwartet die Branche etwa 100.000. Klingt viel, ist aber nur rund ein Prozent der gesamten TV-Verkäufe in diesem Jahr, obwohl doch die Marktführer 2010 zum „Jahr des dreidimensionalen Fernsehens“ erklärt haben.

Xpand-Brille
Xpand-3D-Brille (Foto: Gmhofmann@Wikipedia)

Offenbar ist dem deutschen Durchschnitts-TV-Zuschauer nur schwer zu erklären, warum er sich jetzt schon wieder ein neues, teureres Gerät kaufen soll, dazu für jedes Familienmitglied noch eine Spezialbrille à 150 Euro und diverse 3D-fähige Abspielgeräte – nur um dann festzustellen, dass das Gebotene mehrheitlich immer noch in jeder Hinsicht „flach“ daherkommt. Kaum ein TV-Sender plant mittelfristig nennenswerte 3D-Ausstrahlungen, nur wenige Filme sind auf 3D-Blu-Ray erhältlich. So ist zum Beispiel „Avatar“ zwar ein Rekord-Abräumer auf dem Blu-Ray-Markt, aber nur in der herkömmlichen Version. Die 3D-Ausgabe kann nämlich vorerst nicht einzeln, sondern nur im Paket mit einem Panasonic-TV-Gerät erworben werden.

Wer will sich aber wegen eines Films gleich auf einen bestimmten Hersteller und seine Technologie festlegen? Noch ist ja nicht ausgemacht, welche Technik sich sowohl bei Flachbildfernsehern im Allgemeinen als auch bei 3D-TV-Geräten im Speziellen durchsetzen wird. Nach Plasma, LCD und LCD mit LED-Beleuchtung stehen nun die neuen OLED-Bildschirme in den Startlöchern und die Branche wird wieder mal von einem Quantensprung reden, der die bisherige Technik zum Elektroschrott degradiert: „Wie, Ihr toller LCD-LED-TV hat vor drei Jahren noch knapp 1.600 Euro gekostet? Vergessen Sie’s, der ist heute keine 300 mehr wert.“ Vielleicht nehmen ihn ja MediaMarkt und Co. irgendwann in einer Sonderaktion noch für 200 Euro in Zahlung, sofern Sie ein nagelneues 3D-OLED-42-Zoll-Gerät für mindestens 3.000 Euro kaufen.

Auf der sicheren Seite werden Sie dann aber auch noch nicht sein, denn ähnlich wie weiland bei den Technologie-Wettrennen „Video 2000 gegen VHS“ oder „HD DVD gegen Blu-Ray“ wetteifern verschiedene Verfahren der dreidimensionalen Darstellung um die Vorherrschaft: Mit Shutter-Brille, mit Polarisationsbrille oder ganz ohne Brille, aber mit streng festgelegter Kopfposition. Bis zur flächendeckenden Einführung der OLED-Technologie kommen möglicherweise auch noch weitere Verfahren auf den Markt, von deren Existenz ich noch nichts weiß.

Bei diesem Sandkastenspiel für Spezialisten und Nerds mit schönen, bunten Förmchen bleibt die Kundschaft insgesamt auf der Strecke. Die muss nicht nur wegen Geldmangels einige Innovationssprünge auslassen, sondern nimmt auch mehrheitlich keine Qualitätsverbesserungen wahr. Damit hapert es schon bei der Umstellung von SD- auf HD-TV: In den Kabelnetzen werden nur wenige freie Programme in HD angeboten (z. B. speist KabelBW noch nicht mal Arte TV in HD ein, obwohl es per Digital-Satellit verfügbar ist), die Inhalte der HD-Sender sind überwiegend in hochskalierter Standardauflösung und die am häufigsten verfügbare Auflösung ist nur 720p – das schaffen schon die alten so genannten „HD ready„-Bildschirme, während die neueren „Full HD„-Geräte erst bei 1080i oder 1080p die beste Qualität liefern.

Dazu kommt die seltsame HD-Politik einiger Privatsender wie RTL und Sat.1, die ihre hochaufgelösten Programme verschlüsseln, deshalb nur mit Zusatztechnik empfangbar und mittelfristig auch noch gebührenpflichtig sind. Lohnt dieser Aufwand wirklich, nur um dann die Pickel und Narben diverser Doku-Soup-„Darsteller“ detaillierter und brillanter zu sehen? Das beflügelt höchstens den Brechreiz, aber nicht das ästhetische Empfinden. Und jetzt stellen Sie sich solche Freak-Shows auch noch in 3D vor – unfassbar.

Sehr gut nachvollziehbar ist da die stark nachlassende 3D-Begeisterung der Massen im Umfeld der letzten IFA-Messe in Berlin. Über die Hälfte der ursprünglich 25 Prozent Kaufwilligen revidierte diese Absicht nach der realen Konfrontation mit dem Objekt der Begierde.

Zwei Ansatzpunkte gibt es dennoch für 3D-Begeisterung: Zahlreiche Konsolen- und Videospieler wünschen sich dreidimensionale Versionen ihrer Lieblingsspiele. Ihnen würde es auch nichts ausmachen, dazu eine Spezialbrille zu tragen; viele tun das ohnehin schon. Auch zusätzliche Kosten schrecken echte Gamer und Zocker nicht. Wer süchtig ist und auf eine bestimmte Droge steht, zahlt sie halt auch noch, wenn ihr Preis stark steigt.

Auf der anderen Seite könnte auch eine low-tech-Version von 3D zu neuen Ehren kommen: Das Anaglyphenbild, das auf herkömmlichen Bildschirmen mit einer billigen Rot-Cyan-Brille betrachtet werden kann. Arte TV und die „Bild“-Zeitung hatten Ende August damit erstaunlichen Erfolg. Arte konnte mit der Ausstrahlung eines anaglyphen Hitchcock-Klassikers seine Quote mehr als verdoppeln, obwohl sich einige Zuschauer (offenbar ohne Spezialbrille) beim Sender besorgt erkundigt hatten, ob das Bild nun immer so seltsam aussehen werde.

Anaglyph-Bild
Anaglyphes 3D-Bild eines Seeufers. (Foto: Jim Frost@Wikimedia Commons, cc-by-2.0)

Auch die Sex-Industrie, die traditionell die Einführung neuer Trends beschleunigt, setzt neuerdings wieder auf die altertümliche Technik: Inzwischen bietet Internet-Marktführer YouPorn diverse Filmchen in anaglyphem 3D an. Erinnert mich ein wenig an eine Aktion des „Playboy“ in den 1970ern. Damals gab’s in einer Ausgabe einige anaglyphe Nacktbilder, dazu eine ziemlich fadenscheinige Rot-Grün-Pappbrille. Das stellte den engagierten Betrachter vor ähnliche Probleme wie den heutigen männlichen, untervögelten Großstadt-Single mit iPad. Der hält mit der einen Hand das Pad, mit der anderen die ständig von der Nase rutschende 3D-Brille und dann fällt ihm was Entscheidendes auf …

2 Gedanken zu „3D-TV: Teures Förmchen ohne Inhalt

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