Sarkozy, die Roma und wir

Heute haben wieder zahlreiche Roma Frankreich in Richtung Rumänien verlassen; auf Druck der Regierung des Immigrantensohnes Nicolas Sarkozy und mit finanzieller „Rückkehrhilfe“. Das könnte man „Abschiebung“ nennen, ist es aber eigentlich nicht, denn als europäische Bürger haben die Mitglieder dieser Volksgruppe automatisch Aufenthalts- und Rückkehrrecht in Frankreich.

Prominente Roma
Prominente Roma (v. l. o. nach r. u.): Grigoras Dinicu, Drafi Deutscher, Charlie Chaplin, Pantoja, Ceija Stojka, Dzej Ramadanovski, Irini Merkouri. (Fotomontage: Olahus@Wikimedia Commons)

An sich also sinnloser Aktionismus, der aber die französische Gesellschaft spaltet. Ein großer Teil begrüßt die Auflösung der illegalen Lager und die verkappte Ausweisung der Roma, andere fühlen sich an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und den Völkermord an den Sinti und Roma erinnert. Gestern hörte ich einen Franzosen, der sich über den Populismus des Staatspräsidenten mokierte und mutmaßte, Sarkozy sei es wohl am liebsten, er könne die „Zigeuner“ nach Auschwitz-Birkenau deportieren.

Mit dieser drastischen Anspielung auf das ehemalige Vernichtungslager schließt sich die gedankliche Verbindung zwischen Sarkozy, den Franzosen, den Roma und uns Deutschen. Natürlich ist der Völkermord einerseits schon vor über sechs Jahrzehnten verübt worden und kaum einer der heutigen Deutschen kann dafür noch zur Verantwortung gezogen werden. Andererseits müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass unsere europäischen Nachbarn die deutschen Greueltaten in und außerhalb der beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert nicht vergessen und teils auch nicht verziehen haben.

Sinti- und Romafrauen 1928
Sinti- und Roma-Frauen mit Kind 1928 in Deutschland – vor dem Völkermord. (Foto: Bundesarchiv@Wikimedia Commons)

Noch immer begegnen den Deutschen zahlreiche Ressentiments auf der anderen Seite des Rheins – nicht wegen einer individuellen Schuld, sondern allein wegen der Zugehörigkeit zu einem zeitweise barbarischen Volk. Die kollektive, überlieferte Erinnerung selbst jüngerer Franzosen kann dabei durchaus bis zum deutsch-französischen Krieg 1870-1871 zurückreichen; bereits hier wurden die Wunden aufgerissen, die später noch vertieft und erweitert wurden. Zwei, drei Generationen genügen hier bei Weitem nicht, um geschehenes Unrecht zu verzeihen.

Eine Rolle spielt dabei sicher auch das Verhalten einiger Deutscher, die sich nach dem 2. Weltkrieg in Frankreich immer noch fast wie eine Kolonialmacht aufführen – als Immobilienkäufer, Unternehmer oder auch nur als großkotzige Touristen und renitente Restaurantgäste.

Angesichts dessen halte ich die Entwicklung der offiziellen deutsch-französischen Beziehungen nach 1950 schon fast für ein Wunder – es hätte auch ganz anders kommen können. Schließlich gab es ja auch zahlreiche Greueltaten der Franzosen gegen Deutsche – eine meiner beiden Großmütter wurde beispielsweise nach dem 2. Weltkrieg von einem französischen Besatzungssoldaten in Baden vergewaltigt (ein Fremdenlegionär aus Nordafrika, kein Einzelschicksal), die Truppen ließen den halben Schwarzwald abholzen, um ihren Bedarf an Brennstoff und Baumaterial zu decken und natürlich gab es auch Demontage-Aktionen bei Industrieanlagen; ähnlich denen der Sowjet-Truppen in deren Besatzungszone.

Das dies alles heutzutage noch eine Rolle spielen soll, mag jungen Deutschen völlig absurd vorkommen, ist aber tatsächlich Bestandteil der aktuellen politischen Realität in Europa. So wäre eine „Abschiebung“ von Roma, wie sie derzeit in Frankreich geschieht, in Deutschland völlig undenkbar. Und die Berichterstattung über strafunmündige Roma-Kinder, die offenkundig von ihren Eltern vom Elsass aus auf regelmäßige Diebstahl- und Einbruchstouren über den Rhein geschickt werden, fällt meist sehr zurückhaltend aus. So wird etwa Ulrich Heffner, der Sprecher des Landeskriminalamtes in Stuttgart, so zitiert:

Es handelt sich schon häufig um Angehörige reisender Familien aus Ost- und Südosteuropa.

Eine Zurechnung zu einer bestimmten Volksgruppe will er nicht vornehmen. Weniger zurückhaltend ist man schon ein paar Kilometer weiter im schweizerischen Basel:

Die Ermittlungen des Kriminalkommissariates, die Beobachtungen der Polizei sowie einzelne Festnahmen lassen den Verdacht zu, dass etliche dieser Taten durch Gruppierungen von Romas verübt wurden, die aus mehreren Camps im nahen Elsass stammen und gezielt nach Basel einreisen, um hier Einbrüche zu verüben.

Solche Zuordnungen würden einem deutschen Polizeibeamten in der Öffentlichkeit nie über die Lippen kommen, sähe er sich doch schnell einem Rassismusverdacht ausgesetzt. Im Übrigen gebietet der deutsche Pressekodex:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründeter Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Gruppen schüren könnte.

Zu diesen „schutzbedürftigen Gruppen“ zählen bei uns natürlich auch die Sinti und Roma. Denn, seien wir mal ehrlich mit uns selbst: Haben wir nicht jede Menge Vorurteile? Haben uns nicht Eltern oder Großeltern den Begriff „Zigeuner“ als negativ besetzte Bezeichnung eingebleut? Sind wir nicht auch beunruhigt, wenn „fahrendes Volk“ mit Wohnwagen auf dem Festplatz unseres Ortes campiert und dunkelhäutige Kinder durch die Wohngebiete streifen? Ähnlich wie die weißen US-Amerikaner in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts „Schwarze“ nur als Dienstboten, Tänzer, Komödianten, Sänger und Musiker akzeptierten, so beschränken sich unsere positiv erlebten Kontakte mit Roma meist auf musikalische Begegnungen – als Zuschauer oder in wenigen Fällen auch als Mitwirkender (been there, done that).

Alle lieben den Gypsy-Jazz von Django oder Schnuckenack Reinhardt, Biréli Lagrène, Häns’che Weiss oder Titi Winterstein, aber: „Lasst die Sippe bitte schön nicht in meiner Nachbarschaft wohnen“ – das denken viele Deutsche sicherlich, denen Sinti und Roma privat völlig fremd sind. Und das liegt absurderweise auch daran, dass es wegen der Ermordung von hunderttausenden Roma nur noch wenige von ihnen gibt. Meist ist die Fremdenfeindlichkeit gegenüber einer Volksgruppe umgekehrt proportional zu ihrer Präsenz in der Gesamtbevölkerung. Sehr schön ist das bei den Neonazis zu beobachten, die vor allem in den neuen Bundesländern Zulauf haben, wo der Emigranten- bzw. Ausländeranteil weitaus geringer ist als im Westen der Republik.

Das haben wir offenbar auch mit den Franzosen gemeinsam. Die hätten an sich genug Probleme und Aufgaben mit den Millionen hoffnungslosen legalen und illegalen Emigranten in den Vorstädten, kaprizieren sich aber jetzt ausgerechnet auf die geschätzt rund 15.000 Roma – eine verschwindend geringe Minderheit im bunten, multikulturellen Frankreich, dessen Staatspräsident ungarisch-griechische Wurzeln hat und der sich offenbar von seiner sinnlosen Anti-Roma-Aktion einen politischen Vorteil verspricht. Gerade wir Deutsche sollten das nicht unkommentiert lassen.

Ein Gedanke zu „Sarkozy, die Roma und wir

  1. „Trotz der heiligen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu ächten, trotz der Rufe der Millionen: ‚Nie wieder Krieg‘, entgegen all den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft muß ich sagen: Wenn das heutige Geldsystem, die Zinswirtschaft, beibehalten wird, so wage ich es, heute schon zu behaupten, daß es keine 25 Jahre dauern wird, bis wir vor einem neuen, noch furchtbareren Krieg stehen.

    Ich sehe die kommende Entwicklung klar vor mir. Der heutige Stand der Technik läßt die Wirtschaft rasch zu einer Höchstleistung steigern. Die Kapitalbildung wird trotz der großen Kriegsverluste rasch erfolgen und durch Überangebot den Zins drücken. Das Geld wird dann gehamstert werden. Der Wirtschaftsraum wird einschrumpfen, und große Heere von Arbeitslosen werden auf der Straße stehen. An vielen Grenzpfählen wird man dann eine Tafel mit der Aufschrift finden können: ‚Arbeitssuchende haben keinen Zutritt ins Land, nur die Faulenzer mit vollgestopftem Geldbeutel sind willkommen.‘

    Wie zu alten Zeiten wird man dann nach dem Länderraub trachten und wird dazu wieder Kanonen fabrizieren müssen, man hat dann wenigstens für die Arbeitslosen wieder Arbeit. In den unzufriedenen Massen werden wilde, revolutionäre Strömungen wach werden, und auch die Giftpflanze Übernationalismus wird wieder wuchern. Kein Land wird das andere mehr verstehen, und das Ende kann nur wieder Krieg sein.“

    Silvio Gesell, direkt nach dem Ende des 1. Weltkrieges

    Am Ende des kapitalistischen Zeitalters treibt die „Giftpflanze Übernationalismus“ nun auch in Frankreich ihre Blüten. Die menschliche Dummheit (Religion und Politik) wird allein dadurch ein Ende finden, dass der Krieg – zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung, um den Zinsfuß hochzuhalten – nur solange der Vater aller Dinge sein konnte, wie es noch keine Atomwaffen gab.

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